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Auch Grünes Wachstum ist keine Lösung - Andreas Novy, These 2 zum Wachstum

Spätestens seit dem Club of Rome-Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ 1972 wird Wachstum problematisiert. Wachstumskritik war von Anfang an Motivation der Umweltbewegung. Zumindest, so der Anspruch ökologischer Vernunft, müsse Wachstum in Hinkunft nachhaltig, qualitativ anders sein. Viele theoretische Ansätze haben über die letzten Jahrzehnte versucht, eine Synthese von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft zu schaffen. E

Eine Inspiration hierzu waren die Überlegungen von Karl Polanyi, der in seiner Kritik der Marktgesellschaft zeigte, dass entfesselte Märkte eine zerstörerische Tendenz haben und es darum gehe, die ökonomischen Dynamiken wieder einer gesellschaftlichen, heute würden wir sagen einer sozialökologischen Perspektive unterzuordnen. Der Markt müsse in die Gesellschaft „eingebettet“ werden. So versucht der Ansatz der Nachhaltigkeit, Ökologie, Ökonomie und Soziales als drei Dimensionen von Entwicklung zu verstehen, die gleichermaßen und in Einklang miteinander zukunftsfähig ausgerichtet werden müssen.

Das Unterfangen, eine auf Preisen basierende Wirtschaftsordnung mit der dynamischen Funktionsweise ökologischer Systeme und stofflicher Flüsse vereinbar zu machen, erweist sich als schwierig. Zwar sind Bestrebungen, die wahren Kosten von Produkten zu erfassen, wirksame Mittel, um Produktionsentscheidungen und Konsumverhalten zu beeinflussen. Doch nur zu oft hat technischer Fortschritt – wie die Produktion von energiesparenden Geräten – zur Folge, dass schlicht mehr konsumiert wird. Mit dem 3-Liter-Auto wird mehr gefahren; beim Kauf einer Energiespartiefkühltruhe wird die alte Tiefkühltruhe einfach ins Wochenendhaus gestellt ... Trotz großer Medienberichterstattung zum Thema Klimawandel und der Zunahme extremer Wetterereignisse hat der Verbrauch von Energie und Ressourcen in den letzten Jahren weiter zugenommen. Es gibt keine empirisch feststellbare Entkopplung von Wirtschaftswachstum einerseits und Ressourcenverbrauch und Emissionsausstoß andererseits.

Trotzdem wird heute oftmals ein Ökokeynesianismus als Antwort auf die Wirtschafts- und Umweltkrise gefordert.  Unter dem Schlagwort Green New Deal sollen Investitionen in die Ökologisierung der Infrastruktur, in die Energie- und Verkehrswende und grüne Hochtechnologien die Wirtschaft ankurbeln und gleichzeitig ökologische Probleme wie Ölabhängigkeit und Ineffizienzen lösen. Vor allem in Deutschland herrscht die Illusion, Umwelttechnologien könnten die Automobilwirtschaft als Exportmotor ersetzen. Diese Form des Grünen Wachstums würde einfach ein Produkt durch ein anderes ersetzen, die Grundstruktur von Produzieren und Leben aber unverändert lassen. Deutschland bliebe Exportweltmeister, der Süden und Osten Europas Importeur der nun sauberen deutschen Industrieprodukte. Aber mit welchem Geld sollen diese Importe bezahlt werden? Und warum soll China nicht auch bei diesen Produkten Weltmarktführer werden?

Es ist mehr als fraglich, ob dieses weiterhin auf Export basierende grüne Wachstumsmodell angesichts der Zuspitzung sozialer und ökologischer Krisen funktioniert. Die Post-Wachstums-Ökonomie meldet hier berechtigte Zweifel an: Denn eigentlich braucht es für die Stabilisierung des Weltklimas eine Reduktion des ökologischen Fußabdrucks vor allem der in Europa und Nordamerika lebenden Menschen,  denn dieser ist bei uns ein Vielfaches dessen, was der Planet Erde pro Kopf seiner BewohnerInnen verträgt. Das bedeutet hierzulande wohl eher Schrumpfen als Wachsen, wenn es um Ressourcennutzung geht.

Hier eröffnen sich vermeintliche Gemeinsamkeiten mit den Ansichten der Neoliberalen: Das neoliberale Gürtel-enger-Schnallen liegt nahe bei ökologischen Verzichtsaufforderungen. Können wir uns also freuen, wenn Kapitalismus nicht funktioniert, wenn Volkswirtschaften schrumpfen und weniger produziert und konsumiert wird? Nein, denn die ungeordnete Schrumpfung kapitalistischer Ökonomien hat hohe soziale Kosten. Die Gefahr politischer Verwerfungen ist groß, Abstiegsängste, Arbeitslosigkeit und Perspektivenlosigkeit führen nicht nur kurzfristig zu Leid, sondern auch zu schwer kontrollierbaren Konflikten. Es wäre genau nicht die erhoffte Einbettung der Ökonomie in Gesellschaft und Umwelt.

Der Neoliberalismus negiert all dies. Propagierten Neoliberale bis vor kurzem noch ungezügeltes Wachstum, so predigen sie heute die Tugend des Sparens und verkennen so die Logik des Kapitalismus, der ohne Mehr-Haben-Wollen und Verschuldung, aber auch ohne Massenkaufkraft nicht existieren kann. Was gegenwärtig in Südeuropa stattfindet, zeigt, dass Neoliberalismus – in den Worten von Franklin D. Roosevelt – nicht nur „schlechte Moral“, sondern auch „schlechte Ökonomie“ ist. Statt durch Marktanpassungen von Angebot und Nachfrage die Krise zu überwinden, kommt es nur zu einem destruktiven Teufelskreis, der gleichzeitig die Verschuldung und die Armut erhöht. Neoliberalismus verursacht das Schrumpfen eines Systems, das von Wachstum lebt – der Kollaps ist absehbar, seine Folgen nicht.

Die Ansätze von Post-Wachstum stellen also richtige Fragen und benennen das Ziel einer Zivilisation, in der Wachstum nicht im Zentrum steht. Sie beschäftigen sich aber kaum mit den konkreten ersten Schritten von der bestehenden, wachstumsabhängigen kapitalistischen Marktgesellschaft hin zu einer solidarischen und ökologischen Kreislaufwirtschaft. Die Frage des Übergangs Ernst nehmen heißt, sich mit Widersprüchen zu beschäftigen, Chancen zu identifizieren und sich bewusst zu sein, dass mächtige Interessen diesen Weg blockieren werden.

Andreas Novy ist ao. Universitätsprofessor an der WU-Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt