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Bausteine eines grünen Neubeginns

Die Krise der Grünen wurzelt in ihrem Erfolg. Unter den Bundessprechern van der Bellen und Glawischnig haben sich die Grünen von einer Chaostruppe zu einer normalen Partei entwickelt.

Durch professionelle Oppositionsarbeit und innovative Impulse in diversen Regierungen haben sie sich einen Ruf als seriöse, vernünftige demokratische Kraft erarbeitet. Doch dieser bewusst eingeschlagene Weg in die Mitte des politischen Spektrums und damit tendenziell auf die Seite der Gewinner der aktuellen Umbrüche, hatte einen hohen Preis.

Die Antwort auf dogmatische Lagerkämpfe zwischen Fundis und Realos war die Meidung jeglicher inhaltlichen Kontroverse, weil diese oft destruktiv war. „Ideologisch“ wurde ein negativ besetztes Wort. Nicht wenige sehnten sich nach einer vernünftigen Politik, in der „die besten Köpfe“ „innovative Konzepte“ umsetzen. Gleichzeitig trat der Glaube an die Macht objektiver Expertise an die Stelle fundierter Gesellschaftsanalyse, die jene Kräfte identifiziert, die weder eine ökologische Wende noch ein gutes Leben für alle wollen.

So ging in diesen 20 Jahren fortgesetzter kleiner Erfolge das verloren, was ursprünglich zur Gründung der Grünen geführt hatte: die Einsicht, dass in unserer Gesellschaft manches bewahrenswert ist, doch einiges auch in eine grundlegend falsche Richtung läuft. Die sozialen Bewegungen, aus denen die Grünen hervorgegangen sind, waren allesamt systemkritisch: Die Friedensbewegung kritisierte die Aufrüstung, die Frauenbewegung tiefsitzende patriarchale Strukturen, die Umweltbewegung die Destruktionslogik der Industriegesellschaft sowie die Bürgerinitiativen die sozialpartnerschaftliche Politik von oben. Diese Systemkritik war immer oberflächlich und fragmentiert; es gab keine grüne Theorie, die eine gemeinsame Weltsicht dieser vielfältigen alternativen Bewegungen hätte anbieten können. Das erleichterte es der Parteispitze, die systemkritischen Wurzeln parteiintern Schritt für Schritt in Vergessenheit geraten zu lassen.

Doch gleichzeitig begann sich mit der Finanzkrise 2008 und der Einsicht in die Gefahren des Klimawandels das Alltagsbewusstsein der Menschen zu verändern: Langsam, dafür aber nachhaltig, dämmerte es, dass „weiter so“ keine Alternative ist; dass ein entfesselter Finanzkapitalismus soziale Katastrophen schaffen kann, dass die Klimakrise die friedlichen und rechtsstaatlichen Fundamente unserer Zivilisation untergräbt und gemeinsam mit der Globalisierung zu Krieg und Flucht führt.

Diese vielfältigen Krisen erleichtern es Populisten und machen reaktionäre Politik attraktiv. Komplexe Fragen verlangen jedoch nach ganzheitlichen Lösungen, basierend auf besonnener Expertise und gemeinsamem Überlegen. Dies hätte für eine sachorientierte Partei wie die Grünen die Chance eröffnet, sich als Alternative zu präsentieren. Statt die gesellschaftlichen Zuspitzungen zu nutzen, beschleunigte die Partei allerdings den Weg in die politische Mitte genau zu einem Zeitpunkt, als sich diese allerorten aufzulösen begann.

Insbesondere die ÖVP hat dies erkannt und sich rechts positioniert: mit einem klaren Programm der Umverteilung nach oben und der Ausgrenzung nach unten. Flüchtlinge dienten als Sündenböcke zur Legitimierung einer Politik auf Kosten Schwacher, ausdrücklich nicht nur diejenigen aus dem Ausland. Zusammen mit der FPÖ wird sie ihre Vision zum Schaden des Landes in den kommenden Jahren umsetzen. Gegen diesen kulturellen und sozialen Rechtsruck braucht es Widerstand, aber auch konstruktive, solidarische Alternativen und inspirierende, gemeinsame Ziele.

In dieser Situation reicht es nicht, eine ganz normale Partei zu sein. Es braucht neue, offenere Formen von Partei, vermehrt auf Bündnisse ausgerichtet und stärker getragen von Jungen. Es gilt, an die ursprüngliche Basisarbeit anzuschließen, und gleichzeitig innerparteiliche Demokratie neu zu definieren – breiter und handlungsbefähigender. Von Bernie Sanders kann gelernt werden, Aktivisten zu motivieren und einzubinden, aber auch, wie wichtig Bündnissen mit kritischer Wissenschaft und engagierter Zivilgesellschaft sind. Da ist einiges geglückt, zum Beispiel bei TTIP, anderes misslungen, zum Beispiel beim Heumarktprojekt.

Systemkritisch zu werden heißt, wieder über Umverteilung zu reden und Machtverhältnisse zu kritisieren, aber nicht, die Kompetenzen über Bord zu werfen, die die Grünen zu einer seriösen und lösungsorientierten Kraft gemacht haben. Die Grünen stehen für mühsame Kleinarbeit, um Stadtteile, Gemeinden und Regionen lebenswerter zu machen. So wichtig diese kleinen Kämpfe und Erfolge sind, sie machen erst Sinn, wenn sie als Mosaiksteine verstanden werden für die zentrale Aufgabe, die soziale und die ökologische Frage zusammen zu denken. Grün ist nicht nur Öko, sondern baut auf Solidarität, auf dem Wunsch, eine Gesellschaft zu schaffen, in der für alle Platz ist. Das beinhaltet die Verteidigung des Sozialstaats, den respektvollen Umgang mit Schutzsuchenden und Empathie für die ganz normalen Sorgen des Alltags – im Beruf, in der Schule und in der Nachbarschaft.

In Zeiten großer Umbrüche gibt es also keinen Königsweg, keine magische Formel, die alle Widersprüche aufhebt. Gefragt ist eine neue Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit sowie die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen: Sicherheit zu gewährleisten und Innovation zu ermöglichen, professionelles Handwerk mit systemkritischem Horizont zu verbinden. Den Spagat zwischen kleinen Schritten und utopischem Horizont hinzubekommen, ist die rasch zu erlernende, not-wendende Kunst grüner Politik.

Andreas Novy ist Obmann der Grünen Bildungswerkstatt