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Jenseits von Wachstum – Ökonomie neu denken

Der Vormittag des zweiten Akademietages stand unter dem Vorzeichen „Jenseits von Wachstum - Ökonomie neu denken“. Niko Paech, Vertreter des Lehrstuhls für Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, stellte in einem Kontroversen aufwerfenden Vortrag ein praxisnahes Konzept der Postwachstumsökonomik vor, welches im Anschluss in Form einer Sofadiskussion hitzig diskutiert wurde.

An dieser nahmen unter der Moderation von Silvia Nossek, Organisationsberaterin und zuletzt Landessprecherin der Wiener Grünen, Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, Angie Rattay, Gründerin des Neongreen Network, Bruno Rossmann, Ökonom und Nationalratsabgeordneter der Grünen und Cristina Asensi, Vertreterin von Attac und Aktivistin der spanischen Demokratiebewegung „Democracía Real Ya“, teil.

Ökologische Modernisierung oder Wachstumskritik?

Niko Paech stellt dem Publikum zu Beginn seines Vortrages einen „kleinen Kompass“ der Dogmengeschichte des Nachhaltigkeitsdiskurses vor. Hier gibt es erstens den Ansatz der ökologischen Modernisierung, welcher weiteres ökonomisches Wachstum nicht nur als notwendig, sondern auch wünschenswert und sogar ökologisch durchhaltbar betrachtet. Dafür sei ökologische Effizienz und Konsistenz nötig wie es z.B. in der Kreislaufwirtschaft oder dem Konzept des Green Growth existiert. Paech verortet sich jedoch selbst im zweiten Ansatz der Wachstumskritik. Hiernach ist wirtschaftliches Wachstum weder wünschenswert noch ökologisch durchhaltbar. Auch in diesem Ansatz unterscheidet Paech zwei Strömungen. Eine, die sich dem institutionellen Wandel in marxistischer Tradition widmet  - dort ordnet er auch Elmar Altvater zu - und eine andere, die sich mit einem substantiellen Wandel auseinandersetzt. Vertreter*innen dieser Strömung - zu denen sich Paech hinzuzählt - nehmen den Konsum und die Produktion in den Fokus. Schlagworte wie Industrierückbau, Zivilisations- und Fortschrittskritik, Verkürzung von Wertschöpfungsketten sowie Formen der Suffizienz - also reine Reduktion - und Subsistenz stehen hier im Mittelpunkt.

Postwachstumsökonomik als Alternative

Paech weist desweiteren darauf hin, dass uns im Falle einer tatsächlichen Bekenntnis zum 2° Celsius Klimaziel, bis zum Jahr 2050 noch 750 Milliarden Tonnen CO2, das heißt bei ca. sieben Milliarden Menschen eine jährliche Konsumation von 2,7 Tonnen CO2 pro Mensch, zur Verfügung stehen. Der Pro-Kopf-CO2-Verbrauch in Österreich lag 2008 jedoch bei 10,4 Tonnen, in den USA sogar bei 19,5 Tonnen. Daraus schließt er, dass diese hoch intensiven Lebensstile nicht fortführbar seien, während materiell unterversorgten Menschen in anderen Teilen der Welt das Recht zukommen müsse, weiterhin wirtschaftliches Wachstum zur Verbesserung ihrer Lebensqualität zu nutzen.

Als ein weiteres wesentliches Problem macht er den Ursprung unseres Wohlstandes, die mittlerweile globalisierte Arbeitsteilung aus. Insofern gäbe der Energiemix eines Landes keinerlei Auskunft über den nationalen Klimaschutz, sondern nur der Weltenergiemix, da viele von uns konsumierten Produkte nicht bei uns produziert werde. Somit sei auch erneuerbare Energie, welche in der westlichen Welt als Lösung propagiert wird, nicht annähernd ausreichend ausbaufähig, um den Weltenergieverbrauch hinreichend zu verringern.

Im Gegensatz dazu schlägt Paech die Postwachstumsökonomik vor, welche im ökonomischen Wachstum keine Option für das 21. Jahrhundert sieht. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist eine detaillierte Analyse der systemischen Wachstumstreiber, wie die notwendige Vorfinanzierung der Produktion, die nur durch Gewinne rückzahlbar wird. Insbesondere im Falle einer Vorfinanzierung durch Schuldenaufnahme braucht es im Nachhinein Überschüsse zu deren Tilgung. Allerdings gibt es auch kulturelle Wachstumstreiber, die nicht zu unterschätzen seien. Um sozial und kulturell anschlussfähig zu bleiben und den eigenen Status zu sichern, müsse der eigene Konsum regelmäßig ausgeweitet werden. Die Bekämpfung beider Wachstumstreiber ist deklariertes Ziel der Postwachstumsökonomik.

Praktische Lösungsvorschläge der Postwachstumsökonomik

Paech schlägt eine Reihe von konkreten Maßnahmen schonenden Wirtschaftens vor: Durch eine zunehmende Bildung von Genossenschaften, Gemeingütern und solidarischem Wirtschaften könnten unter anderem Renditen gesenkt werden. Desweiteren wird eine Geldreform gefordert, hier seien Konzepte von Regionalwährung oder der Vollgeldansatz interessant. Außerdem müsse es zu einer Deindustrialisierung und damit Verkürzung von Produktionsketten kommen. Auf der Ebene der kulturellen Wachstumstreiber schlägt Paech eine „Entschleunigung“ und „befreiende Entrümpelung“ vor. Das heißt: Sogenannter Wohlstandsschrott soll ausgemistet und Suffizienz hergestellt werden - und das gelte für jeden einzelnen Menschen.

Insofern baut die Postwachstumsökonomik auf zwei Pfeilern auf: Umbau und Rückbau. Hierzu gehören auch eine Arbeitszeitreduktion, eine Senkung der Kapitalintensität sowie die Förderung von Gemeinschaftsnutzung und urbaner Subsistenz. Hierdurch soll Zeit gewonnen werden, um selbst und vor Ort produzieren zu können; durch Gemeinschaftsnutzung und die Erlernung handwerklicher Kompetenzen, soll eine Nutzungsverlängerung von Produkten erreicht werden, was auch massiv die soziale Interaktion in der Gesellschaft steigern soll. Das Ziel besteht in einer mehr als fünfzigprozentigen Schrumpfung allgemeiner Produktion durch urbane Subsistenz.

Offene Fragen

Nach einer kurzen Diskussionspause, um dem Publikum Zeit zur Reflexion zu geben, musste sich Niko Paech noch einigen provokanten aber berechtigten Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum stellen. Den naheliegenden Fragen, wie dieses praktische Projekt mit unterprivilegierten Bevölkerungsteilen umgesetzt werden könne und was mit den öffentlichen Sektoren der Gesundheit und der Bildung passieren solle, gab Paech nur für wenige Teilnehmer*innen ausreichende Antworten: Er setzt auf lange Übergangszeiten und betont, dass selbstverständlich keine Senkung der öffentlichen Sozialleistungen anzustreben sei. Ganz im Gegenteil müsse durch Umverteilung und eine Reduktion von Subventionen - wie im Bereich der Landwirtschaft - Geld positiv umgelenkt werden. Den Anregungen, dass es doch möglich sein müsste ökologische Modernisierung und Wachstumskritik zu verknüpfen und die Einführung einer Art „ökologischem Konto“ für jeden und jede interessant sein könnte gab Paech Recht, beides betrachtet er sogar als notwendig. Bei der Umsetzung müssten wir vor allem bei uns selbst anfangen und nicht zu viel von der Politik erwarten, diese müssten wir erst durch unser Agieren in die Pflicht nehmen.

Eine kontroverse Sofadiskussion.

Im Rahmen einer Sofadiskussion hatten die bereits erwähnten Teilnehmer*innen die Möglichkeit Ergänzungen, Kritik und Erfahrungen zu Niko Paechs Vortrag sowie den Meldungen aus dem Publikum beizutragen.

Es handelt sich nicht um eine Krise, sondern einen Paradigmenwechsel!

Ein großes, von Volker Plass ursprünglich angesprochenes Thema beschäftigte sich mit dem aktuellen Umgang mit der Krise. Wichtig sei es nämlich endlich klarzustellen, dass es nicht um die Rückkehr zum Status Quo vor der Krise gehen könne. Es handle sich um einen Zusammenbruch und somit einen anstehenden Paradigmenwechsel - die Wortbedeutung der Krise würde der Realität nicht gerecht. Plass rechnet vor allem den Grünen großes Potential zu, für die Menschen mit Erklärungen bereitzustehen. Auch Angie Rattay, die Gründerin von „Neongreen“, weist auf die Aufgabe hin, den Menschen Anreize zu geben. Es sei wichtig aufzuzeigen, dass Umweltschutz egoistisch ist, denn schlussendlich tue sich die Menschheit damit nur selbst etwas Gutes. Es gehe darum, den Spaß und die Freude an der Gestaltung von Alternativen zu vermitteln.

Wichtig ist eine Synthese aus kurzfristigen und langfristigen Strategien!

Bruno Rossmann steht der Strategie Niko Paechs am skeptischsten gegenüber und meint sogar, es wäre fatal, seine Konzepte in der derzeitigen Situation zum Beispiel in Griechenland anzuwenden. Viel wichtiger sei es, nun zwei Wege zu beschreiten: einen kurzfristigen, der einen Green New Deal beinhaltet, um die Stagnation abzuwenden und eine Zähmung der Finanzmärkte umzusetzen, und einen langfristigen, wo die Postwachstumsökonomik auch für ihn überzeugend klingt, jedoch noch eine Reihe von Fragen aufwirft. Wie können ohne Gewerkschaften Arbeitszeitverkürzungen durchgesetzt werden, was geschieht mit der Verteilungsfrage und wie stellen wir fest, was Überfluss und was Suffizienz ist? Auch die Machtfrage, welche vor allem von Cristina Asensi in Paechs Ansatz vermisst wird, empfindet er als wichtig.

Die Machtfrage und die institutionelle Ebene dürfen nicht vernachlässigt werden!

Asensi, die praktische Erfahrung mit einer schrumpfenden Wirtschaft aus Spanien mitgebracht hat, gibt Niko Paech zwar theoretisch Recht, sieht aber praktisch einige Probleme in seinem Konzept. Am meisten bemängelt sie an seinem Vortrag die fehlende Analyse der bestehenden Machtverhältnisse. In Spanien sähen sich die Menschen außerdem einer Realität von Entlassungen, Obdachlosigkeit und Gesundheitsbeschränkungen gegenüber, gerade auf Grund von neoliberaler Schrumpfungspolitik. Hier wäre Subsistenz alleine fehl am Platz, denn es bedarf auch Veränderung der Machtstrukturen und somit einer institutionellen Transformation. Insofern plädiert sie für ein dringendes Zusammendenken von zivilgesellschaftlicher und institutioneller Ebene.

Paech stimmt Asensi zwar grundsätzlich zu, merkt jedoch an, dass sich die Gesellschaft zuerst darüber bewusst werden solle, an wen, warum und wie sie die Machtfrage stelle und sich außerdem mit der Antwort und den folgenden Implikationen zurecht finden müsse. Er betont, dass die Machtfrage eine theoretische sei und in der Zivilgesellschaft die Praxis läge, dies treffe ebenfalls auf Griechenland zu. Es dürfe nicht zu theoretisch diskutiert werden, sondern nahe an der Lebensrealität der Menschen, um auch die progressiven Alternativen abseits von „rechts“ aufzuzeigen.

Bezüglich dieser Problematik bleiben also einige Punkte offen, da Asensi auch nochmal darauf hinweist, dass sie sich in Spanien sehr wohl auch kleinräumige Alternativen wie Tauschkreisen und Genossenschaften umsetzen. Ohne staatliche Institutionen gibt es aber keine Garantie für gute Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit.

Was sind die Forderungen an Politik und Zivilgesellschaft?

Bruno Rossmann macht in Anschluss an Asensi auf die Problematik der neoliberalen Politiken aufmerksam. Es sei wichtig, ihre Auswirkungen und das Versagen des neoliberalen Modells politisch zu erklären. Dies sei auch unerlässlich, um dem Rechtspopulismus entgegenzuwirken.

Angie Rattay weist nochmals auf die Wichtigkeit hin, dass jede und jeder Einezlne sich als Teil des Ganzen erkennen muss. In Folge dessen könnten sich dann bottom up Projekte der Zivilgesellschaft mit top down Projekten der Politik in der Mitte treffen.

Plass weist schließlich, eine Anmerkung der Moderatorin Silvia Nossek aufgreifend, darauf hin, dass es wichtig wäre, sich auch über die durchaus zu bewahrenden Errungenschaften und Werte des 20. Jahrhunderts bewusst zu werden: Armutsbekämpfung und sozialer Ausgleich müssten Teil des neuen zivilisatorischen Projektes sein.

Aufforderung an die Grünen: baut Rettungsboote!

Zusammenfassend und in einem schönen Bild stellt Plass fest, dass „Nikos kleine Welt“ – Sesshaftigkeit und die Befreiung vom Überfluss - das utopische Ziel am Ende der gemeinsamen Reise sein sollte; und auch ein Green New Deal nur ein Schritt auf diesem Weg, keinesfalls allein die Lösung sein kann. An die Grünen stellt er die Aufgabe, kleine Rettungsboote zu schaffen, in welchen die Menschen abgeholt und auf alternativen Routen begleitet werden können.

Es geht also um neue Formen des Denkens und ein Abrücken vom „entweder - oder“ in zu einem „sowohl als auch“. Alternativen des grünen Wachstums und des radikalen Wandels müssen kombiniert und zusammengedacht werden.

 

Die Autorin Julia Seewald hat Politikwissenschaft studiert und ist Mitglied des Redaktionsteams der GBW Wien.