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Mehr Basis für Demokratie

Die Ökologiebewegung entstand aus Opposition zur Kreisky-Ära, bzw. als deren Radikalisierung. Sie kritisierte sozialpartnerschaftliche Politik „von oben“ und forderte die Erneuerung der Demokratie „von unten“. Im Grünen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2001 ist Basisdemokratie als „grundsätzliches Beteiligungsrecht“ festgeschrieben, als „Möglichkeit realer Teilhabe an den Entscheidungsprozessen des Gemeinwesens“.

Beim aktuellen Streit um „Basisdemokratie“ geht es um etwas gänzlich anderes. KritikerInnen und VerteidigerInnen verformten den Begriff. Sie streiten über etwas, das weder im Programm der Grünen steht noch von zentraler politischer Relevanz ist: die spezifisch grüne Form, wie die RepräsentantInnen Grüner Politik bestimmt werden. Die einen weisen auf die Ineffizienz und Brutalität dieses Auswahlprozesses hin, die anderen sehen darin ein Korrektiv, um die Rechenschaftspflicht Grüner MandatarInnen sicherzustellen und Mauscheln hinter verschlossenen Türen zu verhindern.

Autoritarismus als effiziente Organisationsform

Was im Gegensatz dazu von wirklicher politischer Relevanz ist: Demokratie ist heute allerorten in der Defensive. China demonstriert selbstbewusst, wie Kapitalismus effizient und wettbewerbsfähig als politische Diktatur organisierbar ist. In immer mehr Ländern wird weiterhin gewählt bei gleichzeitig zunehmend autoritären gesellschaftlichen Regimen – Russland, Türkei, Ungarn und Polen eint bei allen Unterschieden das Bestreben, Opposition mundtot zu machen. Und Macron, Kurz, Babuš und Pilz zeigen die Vorteile von personalisiert-autoritären Strukturen im politischen Wettbewerb.

Vielleicht ist angesichts dessen „Basisdemokratie“ als Begriff gar nicht mehr zu retten. Auf jeden Fall gerettet werden muss aber die Einsicht aus der Kreisky-Ära, dass in einer mündigen und freien Gesellschaft Menschen nicht bloß am Wahltag ihre Stimme „abgeben“. Es braucht vielfältige Räume, Möglichkeiten, die Stimme zu erheben, sich einzubringen und mitzugestalten.

Teilhabe ermöglichen

Demokratie ist Teilhabe: mitreden, mitentscheiden, mitgestalten – in der Schule, der Nachbarschaft, in Land, Bund und Europa. In den 1970er Jahren hieß dies „Demokratisierung aller Lebensbereiche.“ Gesetze zur Mitbestimmung in Betrieb, an der Schule und an Universitäten folgten. Seit einigen Jahren schwingt das Pendel wieder Richtung Autoritarismus und (kurzfristiger) Effizienz. Demokratie wird eingeschränkt, soll „marktkonform“ gestaltet werden. „Oligarchen“, reiche Spender und Parteigründer, werden zu zentralen, die Wahlen bestimmenden Akteuren. Demokratie wird ausgehöhlt, gewählt wird aber weiter. Offensichtlich ist das politische Wahlrecht ein hohes demokratisches Gut, aber für ein demokratisches Gemeinwesen allein nicht ausreichend.

Liberale befürchten das Entstehen „illiberaler Demokratien“ und betonen den Wert von Gewaltentrennung, unabhängiger Justiz und freien Medien als konstitutive Elemente der Demokratie. Gleichzeitig sehen sie nicht, in welch hohem Ausmaß die Vermischung von wirtschaftlicher und politischer Macht auch im Westen, allen voran in den USA, die faktische Gewaltentrennung aufgehoben hat – und das Land fast ausschließlich von Millionären regiert wird. Wer Demokratie retten will, muss es strukturell unmöglich machen, dass sich Milliardäre wie Trump und Babiš Regierungen nicht nur kaufen, sondern auch noch selbst die Regierungsgeschäfte übernehmen. Streiten für Demokratie ist wesentlich ein Kampf gegen die zunehmende Konzentration von Vermögen, ein Kampf für Umverteilung und gegen die exponentiell gestiegene politische und mediale Macht der Super-Reichen.

Demokratisierung aller Lebensbereiche

Was können BürgerInnen gegen diese Entdemokratisierung tun? Wie kann dagegen Partei ergriffen werden? Pilz treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus und schuf eine Ich-AG als Partei. Er war wahltaktisch erfolgreich. Das verleitet manche Grüne, in den Zeitgeist einzustimmen und in weniger innerparteilicher Demokratie die Zauberformel für mehr politische Wirksamkeit zu sehen. Es stimmt: Eine Partei sollte geeint und mit möglichst einer Stimme sprechen. Es stimmt: Ein Chef kann Partikularinteressen – von Bünden, Seilschaften oder Körperschaften - in die Schranken weisen. Sich gegen die „Bünde“ und „Länder“ durchgesetzt zu haben, trug zum Siegernymbus von Kurz bei. Es ist allerdings zu befürchten, dass diese innerparteiliche Entdemokratisierung auch Blaupause für ein entsprechendes Gesellschaftsmodell ist.

Es ist zentrale Herausforderung für eine „basisdemokratische“ Partei, die Basis von Demokratie neu, zeitgemäß zu definieren. Dies heißt zweierlei. Erstens: Wie organisieren wir innerparteiliche Demokratie so, dass damit gesellschaftlichen Entdemokratisierungstendenzen wirksam entgegengetreten werden kann? Wie und in welcher Form kann innerparteiliche Demokratie gesichert und sogar ausgeweitet werden, um die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Demokratie besser führen zu können. Innerparteiliche Demokratie gibt im besten Fall den jeweils Gewählten Rückendeckung und Unterstützung, grüne Inhalte in der Öffentlichkeit bestmöglich zu transportieren. Die aktuelle Form innergrüner Entscheidungsprozesse leistet dies vermutlich nicht.

Kritik der Berufspolitiker

Zweitens: Es gibt eine Tendenz der Gewählten, sich abzusondern, Teil der „politischen Klasse“ zu werden. Die Politikwissenschaft spricht von einer „Krise der Repräsentation“. Dem stellten die Grünen anfangs das Rotationsprinzip entgegen. Es wurde abgeschafft. Die damalige Grundidee, der Bildung einer eigenen „politischen Klasse“ auch in ihren Reihen entgegenzuwirken, erscheint heute durchaus wieder zeitgemäß. Frage an die innerparteiliche Demokratie: Gibt es innovative Formen und Anreize, wie zwischen politischem Amt und zivilem Beruf gewechselt werden kann? Dies könnte verhindern, dass grüne Berufspolitiker letztendlich sogar bereit sind, eine eigene Partei zu gründen, um ihren Job zu sichern.

Anliegen der Grünen war und ist, mehr Demokratie zu wagen und innovative Beteiligungsformen auszuprobieren. Dazu gehört auch, innerparteiliche Demokratie gut zu organisieren. All dies beschrieb früher das Wort „Basisdemokratie“. Mit den aktuellen Diskussionen rund um „Basisdemokratie“ hat dies reichlich wenig zu tun.

Andreas Novy ist Obmann der Grünen Bildungswerkstatt