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Red g'scheit! Über das Ideal der Einsprachigkeit

Die sieben Millionen BewohnerInnen des verhältnismäßig kleinen Inselstaates Papua-Neuguinea sprechen mehr als 800 Sprachen und Dialekte. Weltweit gibt es laut Angaben des Max-Planck-Institutes für Evolutionäre Anthropologie zwischen 6500 und 7000 Sprachen. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass über die Hälfte der Weltbevölkerung mehrsprachig ist. Von Sarah Nägele

Die individuelle Mehrsprachigkeit ist dabei mehr als nur die Addition verschiedener Sprachen. Mit dem Spracherwerb geht die Ausein- andersetzung mit der Kultur – der eigenen wie der fremden – zwangsläufig einher. Französinnen, die bisher ganz uneingeschränkt und fließend Konver- sation getrieben haben, werden bei der Aneignung der deutschen Sprache plötzlich gezwungen, nicht nur „der“ soleil und „die“ lune zu akzeptieren, sondern auch noch einen in ihrer Sprache nicht vorhandenen sächlichen Artikel in ihrem Denken unterzubringen.

Auch in der Konfrontation mit „unübersetzbaren“ Begriffen wie „Weltschmerz“, „Fremdschämen“ oder „Serendipity“ sind Sprachschülerinnen zunächst verunsichert. Wenn sich sprachliche Bilder oder Strukturen nicht eins zu eins übertragen lassen, entsteht ein Denkanstoß und die Irritation wirkt sich mitunter produktiv aus. Wer etwas nicht ausdrücken kann, versucht es eben zu umschreiben. Die eigene Kreativität kommt in Schwung.

SPRACHE IST PRESTIGE

Mehrsprachigkeit bedeutet also vor allem Vielfalt, sprachlich und kulturell. Mehrsprachigkeit ist für manche ein Ziel: Im Lycée français oder in der Vienna International School werden auch Nicht-Muttersprachlerinnen ausschließlich in französischer bzw. englischer Sprache unterrichtet. Die Plätze sind sehr begehrt, die Ausbildung hoch angesehen. Sprache ist hier Prestige. Jüngste Ergebnisse der Mehrsprachigkeitsforschung zeigen, dass es dafür auch handfeste Grundlagen gibt: Kinder, die mehrere Sprachen sprechen, haben nicht nur Vorteile in der Kommunikation. Sie sind auch sozial kompetenter und das Gehirn arbeitet effizienter. In der Theorie haben die Polyglotten also einen eindeutigen Startvorteil. Praktisch stellt sich jedoch nicht nur die Frage, ob sich jemand in verschiedenen Sprachen ausdrücken kann, sondern auch in welchen. Denn nicht alle Sprachen sind Prestigesprachen.

Die Frage, ob Mehrsprachigkeit bei Migrantinnen die Integration fördere oder erschwere, ist im deutschsprachi- gen Raum ein Politikum. Einerseits gibt es eben jene Verfechterinnen, die Mehrsprachigkeit auch über ihre reine Anerkennung hinaus für eine wichtige Ressource halten. Auf der anderen Seite stehen die Befürworterinnen einer forcierten Assimilation über die Förderung der Mehrheitensprache, wobei die Herkunftssprachen als hinderlich und keinesfalls als Vorteil gesehen werden. „Die zur Zweitsprache zusätzliche Beherrschung der Muttersprache (...) bringt auf dem Arbeitsmarkt offenbar so gut wie nichts“, ist sich der Soziologe Hartmut Esser sicher.

Vor allem für Minderheiten ist die Frage der sprachlichen Anerkennung oft eine schwierige, wie in Österreich die endlosen Auseinandersetzungen rund um die Kärntner Sloweninnen zeigen. Nach dem historischen Ortstafelkonflikt, bei dem es um die Beschilderung von Kärntner Ortstafeln in deutscher und slowenischer Sprache ging, tobte jüngst ein Streit um die Kärntner Landesverfassung. Vertreterinnen von Minderheiten-Organisationen forderten, dass in den Teilen mit slowenischer Bevölkerung die slowenische Sprache als zweite Landessprache anerkannt wird oder den Sprachpassus in der Verfassung zu streichen. Den Forderun- gen wurde bisher nicht stattgegeben. Trotz Protesten gegen das „Primat des Deutschen“ bleibt Slowenisch nur als Amtssprache bestehen. Viele Kärntner Sloweninnen fühlen sich in der Wahrung ihres sprachlichen und kulturellen Gutes bedroht. Ihnen wird das Gefühl vermittelt, das Deutsche sei mehr wert als das Slowenische. Der slowenische Kulturverband sprach in einer Aussendung von der „Degradierung der slowenischen Sprache.“

SPRACHE IST PROBLEM

Sprachen haben also ein gewisses „Image“, das sich nach der gesell- schaftlichen Stellung ihrer Sprecher- innen richtet. Ist diese Gruppe wirtschaftlich und kulturell stark, wird die Sprache gesellschaftlich hoch aner- kannt. Ist das nicht der Fall, wird die Sprache als „Problem“ gesehen.

Oftmals werden Kinder aus Einwandererfamilien in der Schule aufgefordert, zuhause Deutsch zu sprechen. Geschieht das um der Integration willen? Oder schimmert da eine Angst durch, dass auf dem Schulhof „zu viel“ Türkisch, Arabisch oder Kroatisch gesprochen wird und der Monolinguismus der Mehrheitsgesellschaft zum Nachteil wird? Wer ganz selbstverständlich fremde Wörter in seine Sätze einbaut, gilt schnell als integrationsunwillig. Und das ist heute fast schon ein Synonym für „gefährlich“.

In den Berliner Stadtteilen Neukölln und Kreuzberg ist Türkisch über die Jahrzehnte hinweg immer präsenter geworden, aber auch Migrantinnen mit anderen Sprachen sind hier stark vertreten. Dadurch ist eine neue Jugendsprache entstanden. Dieses „Kiezdeutsch“ hat sich im Kontakt unterschiedlicher Sprachen und Kul- turen entwickelt. Die Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese hat sich mit dem Phnomen beschäftigt und fest- gestellt, dass Kiezdeutsch wie ein sehr dynamischer Dialekt funktioniert. Die Jugendsprache wird situationsbezogen eingesetzt, bedient sich am Wortschatz verschiedener Sprachen. Lernen kann man Kiezdeutsch auf der Straße: Die Jugendlichen bringen sich die Wörter gegenseitig bei.

So kreativ und interessant aus sprachwissenschaftlicher Sicht solche Phänomene sind: Im Berufsleben wird häufig Hochdeutsch gefordert, Migrantinnen- und Arbeiterinnensprachen sind negativ konnotiert. Die gesellschaftliche Unterdrückung einer Sprache oder eines Dialekts kann dabei dazu führen, dass die Sprecherinnen selbst die Sprache ablehnen, weil sie als Hindernis beim sozialen Aufstieg gesehen wird.

Im täglichen Leben lässt sich dieses Phänomen auch am Umgang mit Dialekten beobachten. In Deutschland hat die Mundart nicht das beste Image. Wer Dialekt spricht, gilt zwar als sympath- isch, aber ungebildet. Deshalb lehnen viele junge Leute ihre Heimatdialekte ab. Vor allem die Dialekte einzelner Dörfer sterben auch deshalb langsam aus. In Österreich und der Schweiz hingegen wird Mundart viel positiver bewertet.

Laut einer Umfrage ist Sächsisch der unbeliebteste Dialekt im deutschen Raum. Wenig überraschend, dass sich das schlecht auf das sprachliche Selbstbewusstsein auswirkt. Bairisch hingegen erntet die meisten Sympathien. Auffällig ist, dass Bayerinnen auch

viel selbstbewusster zu ihrem Dialekt stehen. Hier gibt es nicht nur einen Förderverein für Bairische Sprache und Dialekte e.V., die Mundarten werden auch in den Schulen und vom Kultusministerium gefördert.

Eine starke Befürworterin von Mehrsprachigkeit ist die Europäische Union. Laut den europäischen Bildungsprogrammen sollte jede EU-Bürgerin am Ende der Schulbildung mindestens drei Sprachen verstehen können. Denn das Motto „Une langue, une nation“, das nach der französischen Revolution galt, ist heute längst überholt.

Sarah Nägele ist freie Journalistin.