Sprache dient nicht nur als Kommunikationsmittel dem Austausch von Informationen, sondern ist außerdem identitätsstiftend und konstituiert uns als soziale Wesen. Sprache ist aber auch ein machtvolles Mittel – mit ihr können wir uns von anderen abgrenzen, andere ausgrenzen und zum Schweigen bringen.
Aus eigener Erfahrung wissen die meisten Menschen, dass Sprache das Potential besitzt, andere zu ver- letzen. Dies zeigt sich besonders in Konflikt- bzw. Streitsituationen, in denen oft kränkende Worte fallen. Neben Beleidigungen und extremeren Formen verbaler Aggression (wie Anschreien oder Bedrohen) zählen auch Schweigen und Ignorieren zu kränkenden Handlungen. Sprecherinnen verfügen über vielfältige sprachliche Mittel und Möglichkeiten, um in der Interaktion mit anderen Macht auszuüben und (verbale) Gewalt anzuwenden. Diese sprachlichen Mittel befinden sich auf verschiedenen Ebenen und können unterschiedlich explizit sein: Neben Schimpfwörtern gibt es sprachliche Handlungen wie Beschim- pfungen oder Herabwürdigungen, die eindeutig dazu dienen, das Gegenüber zu beleidigen oder herabzusetzen. Etwas subtilere Formen stellen Unterbrechen, Korrigieren, Belehren, Auslachen etc. dar, die Menschen daran hindern, gleich- berechtigt an Gesprächen teilzunehmen und sich auszudrücken.
Neben direkten Interaktionen zwischen Personen spielt Sprache auch in Hinblick auf größere gesellschaftliche Zusam- menhänge (z. B. Politik und Medien) eine zentrale Rolle. Dabei geht es etwa darum, welche Begriffe, Personenbe- zeichnungen und Selbst- oder Fremd- bezeichnungen verwendet werden, um Menschen zu beschreiben und welche Bilder dadurch aufgerufen werden. Wenn geflüchtete Menschen unter Rückgriff auf eine Naturkatastrophen- metaphorik kollektiv als „Flüchtlings- welle“ bezeichnet werden oder von der „Flüchtlingskrise“ die Rede ist, dann sind diese Begriffe zwar nicht direkt pejora- tiv, doch reproduzieren sie eine negative und problembetonte Deutungsweise.
Wenn etwas schwer verständlich ist, versuchen wir oft, es durch bildhafte Vergleiche aus der Natur zu vereinfachen. Kritisch wird es, wenn damit verborgene Ängste geschürt werden. Ein aktuelles Beispiel: die Flüchtings- welle, ein Begriff, der durch sämtliche Medien ging. Anstatt tödlicher Wassermassen droht eine Menschenflut uns zu überschwemmen und unsere sozialen Absicherungen, unsere Kultur und unsere Werte dem Erdboden gleich zu machen – das schwingt jedenfalls bei diesem Ausdruck mit. Es liegt nahe, dass so etwas auf Dauer subtil auf das Unterbewusstsein einwirken und die Einstellungen der Menschen beeinflussen kann.
Nicht zuletzt gilt es auch kritisch zu hinter- fragen, wer in gewissen Diskursen (nicht) repräsentiert ist und wer überhaupt Teil- habe an der Diskursproduktion hat. In anderen Worten: Wer hat (k)eine Stimme, um sich zu einem gewissen Thema zu äußern? Ausgrenzungen finden z. B. dann statt, wenn einseitig über Dinge und Personen berichtet wird oder Menschen, über die gesprochen wird, selbst nicht zu Wort kommen. Welche Teilnehmerinnen sind zu Diskussionsrunden geladen, wenn über Frauenrechte, Dis- kriminierung von Migrantinnen oder die Kopftuchdebatte gesprochen wird?
SPRACHE UND IDENTITÄTS- KONSTRUKTIONEN ZWISCHEN INDIVIDUUM UND GESELLSCHAFT
Sprachen, sprachbezogene Themen (Einzelsprachen, Dialekte und andere Varietäten, Mehrsprachigkeit) und Sprechen stellen für viele Menschen wichtige Bezugspunkte für die eigene Biographie und das eigene Selbstverständnis dar. Solche individuellen Identitätskonstruktionen verweisen immer auch auf größere gesellschaftliche Diskurse. Sprachen und Sprechen haben nicht nur für Individuen eine identitätsstiftende Funktion, sondern auch für Gruppen, Staaten oder Nationen. Dies spiegelt sich auch in den vielen sprachenpolitischen Bestimmungen und den Bestrebungen, die Präsenz und Verwendung von Sprachen zu regulieren, weltweit wider – so gibt es beispielsweise in Frankreich die „Lois Toubon“, ein Gesetz, wonach die Verwendung von Anglizismen ohne entsprechende Übersetzungen im Französischen im öffentlichen Bereich verboten ist.
Dass es eine enge Verbindung zwischen Sprachen und Identität/en gibt, zeigt sich auch darin, dass sprachbezogene Themen immer wieder in der Politik aufgegriffen und für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Dazu zählen beispielsweise Sprachenverbote bzw. -gebote in Schulen („Deutschpflicht“), gendersensible Sprache (Bundeshymnendebatte, Binnen-I), der (gesetzlich) er- forderliche Nachweis von bestimmten Sprachkenntnissen als Voraussetzung für den Zugang zu Ressourcen (Aufent- haltstitel, Wohnungsbezug etc., siehe unten) oder die Zulassung von weiteren Sprachen als Maturasprachen.
Die Brisanz sprachenpolitischer Themen wird auch im Umgang mit Minderheiten- sprachen und deren Anerkennung mani- fest: In Österreich wurden die Minderheitenrechte der sechs „autochthonen“ Minder- heiten hart erkämpft, wie beispielsweise die Rechte der Burgenlandkroatinnen, Kärntner Sloweninnen oder auch Sprecherinnen der Österreichischen Gebärden- sprache. Letztere wurde im Übrigen erst 2005 als vollwertige Sprache in der Bundesverfassung zumindest formal anerkannt. Der jahrzehntelang ungelöste Kärntner Ortstafelstreit verdeutlicht, wie schwierig die Situation für Minderheiten- sprachensprecherinnen ist und wie lange sich der Weg zur rechtlichen, symbolischen und sichtbaren Anerkennung gestaltet.
BEISPIEL INTEGRATIONSVEREINBARUNG
Ein Beispiel für die Instrumentalisierung von Sprache bzw. Sprachkenntnissen, um Ausschlüsse von Personen(gruppen) her- zustellen, ist die sog. „Integrationsverein- barung“. Dieser Regelung zufolge sind Drittstaatsangehörige dazu verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren Deutschkennt- nisse auf dem Niveau A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Spra- chen nachzuweisen. Während EU-Bürger- innen von dieser Regelung ausgenommen sind, gilt für Drittstaatsangehörige seit 2011 sogar die Regelung „Deutsch vor Zuzug“, d. h. dass sie Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 nachweisen müssen, bevor sie nach Österreich ziehen. Dies setzt allerdings voraus, dass es über- haupt eine entsprechende Prüfungsein- richtung im Herkunftsland gibt. Abge- sehen von den finanziellen Hürden, die mit dem Ablegen einer Sprachprüfung verbunden sind und somit systematisch Personengruppen ausschließen, die nicht über entsprechende Mittel verfügen, gilt diese Regelung beispielsweise nicht für „höher qualifizierte“ Arbeitskräfte. Dass die Regelung nicht für alle Menschen gleich gilt, bekräftigt die Annahme, dass es nicht um „Integration“ geht, sondern Sprache hier instrumentalisiert wird, um Migration zu regulieren bzw. zu erschweren.
PERSPEKTIVEN
Wir sind ausgrenzenden und diskriminie- renden Praktiken nicht hilflos ausgeliefert – wir können auch mit unserem eigenen Sprechen eingreifen und durch alternative Formulierungen der Verfestigung bestehender Muster entgegenwirken und Bewusstsein schaffen. Eine weitere Möglichkeit ist es, diskriminierende Handlungen oder soziale Ungleichheiten zu benennen und ausgrenzende Argu- mentationen zu hinterfragen.
Manchmal gestaltet es sich allerdings als schwierig, subtilere Formen des ausgrenzenden Sprechens zu erkennen. Hier hilft es, sich die folgende Frage zu stellen: „Wer spricht mit wem wie worüber wann und zu welchem Anlass?“ Eine kritische Prüfung dieser Faktoren, das Durchspielen von Alternativen und die Reflexion darüber, wer worüber sprechen darf, können dazu beitragen, Machtasymmetrien aufzudecken.
Sabine Lehner forscht am Institut für Sprachwissenschaften der Universität Wien