Die romantische aber unhaltbare Vorstellung von unberührter Natur und echter Wildnis kreuzt sich in der alpinen Realität mit Retortenbergdörfern, zur Eventkulisse mutierten Almen und gewinnträchtigen Freizeitghettos, wie sie Felix Mitterers Piefkesaga nicht absurder hätte erdenken können.
Das Walsertal geht hier – noch – einen anderen Weg. Die Attraktivität der Region beruht auf einer traditionellen Bewirtschaftung, die Kleinräumigkeit und eine vielgestaltige Landschaft zulässt – Wiesen, Wege und Waldflächen wechseln einander ab, eine lebendige Almwirtschaft trägt ihren Teil bei. Der Tourismus passt sich der Landschaft an und nicht umgekehrt.
Lebensraum schaffen ohne den Naturraum zu zerstören
Veranstaltungsort und Exkursionen dieser Tagung schärfen den Blick für die Erkenntnis, dass selbst ein so heikler, schwieriger und labiler Naturraum vom Menschen zum Lebensraum umgewandelt und als solcher ressourcenschonend genutzt und erhalten werden kann. St. Gerold deckt seinen Strombedarf zum größten Teil aus eigener Wasserkraft, regionale Produkte mit hoher Qualität und selbstbewusster Marke („Walserstolz“) schaffen die ökonomischen Nischen, eine gute Infrastruktur und eine starke Verbundenheit der Walser zu ihrer Region beugen der Abwanderung vor.Zu welchem Preis? Hier kommt dann doch eine Prise Jane Austen ins Spiel. Wie im gleichnamigen Entwicklungsroman Pride and Prejudice geht es auch im Jahr 2017 um die individuelle Balance von Liebe, ökonomischer Sicherheit und sozialer Zugehörigkeit. Dass weiblichen Hoferbinnen erst vor 25 Jahren das traditionelle Holzbezugsrecht („Urbarial“) zuerkannt wurde und Familiengründungen nach wie vor fast ausschließlich innerhalb des Tals erfolgen, ist eine wenig zeitgemäße Gesellschaftsstudie, dennoch übertragbar auf andere periphere Regionen und de facto nicht dazu angetan, den Start in ein selbständiges Leben zu erleichtern. Oder, mit den Worten von Silvia Hofmann, schafft erst die Verbindung von traditionellem Wissen mit einem vorurteilsbefreiten, unkonventionellen Lebensstil Zukunft.Die zentrale Frage des Guten Lebens für Alle – oder wie einander Stadt und Land, Berg und Tal wechselseitig stärken können – wird uns mit Sicherheit bis zur nächsten Alpentagung 2019 in Niederösterreich intensiv beschäftigen.
Dagmar Tutschek, Grüne Bildungswerkstatt