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Vom Sperrgebiet der Nazis zum Alpen-Nationalpark

NACHLESE. Das Berchtesgadener Land hat mehrere Seiten: wilde und schroffe Natur und eine dunkle Vergangenheit als zweiter Regierungssitz der Nationalsozialisten. Bei unserer Bildungswanderung im Juli 2017 begaben wir uns auf Spurensuche.

Die Nebelschwaden hängen noch zwischen den Bergen – die Sonne ist gerade aufgegangen. Im Westen funkeln die Lichter Berchtesgadens, nördlich gehen in Salzburg immer mehr Lampen an. Auf dem Obersalzberg, in etwa 1000 Metern Höhe, ist es hingegen noch still. Das Kehlsteinhaus thront am Horizont auf dem Berg, nach dem es benannt ist. Auch dort herrscht noch Ruhe vor dem täglichen Ansturm.
Der Obersalzberg liegt genau oberhalb der Marktgemeinde Berchtesgaden, die vor ein paar Jahren ihre 200-jährige Zugehörigkeit zu Bayern feiert. Im „Dritten Reich“ war er einer von Hitlers bevorzugten Aufenthaltsorten. Mit einem Dokumentationszentrum in luftiger Höhe und Fahrten in das Kehlsteinhaus – oder „Eagle's Nest“, wie es auf Englisch heißt – wird diese schwierige Geschichte aufgearbeitet.

Sie wird dabei auch aus dem Blick der Familien erzählt, die vor der „Machtergreifung“ der Nazis in der Gemeinde Obersalzberg lebten und ihre Höfe bewirtschafteten. Hitler kam in den 1920er-Jahren in diesen Winkel Bayerns, unweit des Königssees und keine 20 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt.
Zunächst war er ein normaler Urlauber, ein „umgänglicher Mensch“, wie sich sein Vermieter in einem Interview erinnert, das im Dokumentationszentrum gezeigt wird. 1925, nach Beendigung seiner Festungshaft in Landsberg am Lech, kehrte der spätere Reichskanzler zurück und lebte in einer Blockhütte im Wald – dort diktierte er den zweiten Teil von „Mein Kampf“.

Später mietete er das kleine Landhaus „Wachenfeld“, das er nach der „Machtergreifung“ kaufte und zum pompösen „Berghof“ ausbauen ließ. Nach und nach wurde die Region zum „Führersperrgebiet“. Die Grundbesitzer mussten verkaufen oder wurden enteignet. Hitler nutzte das idyllische Panorama der Alpen auf seinem Hof für öffentlichkeitswirksame Empfänge.

Rund um den 50. Geburtstag des Diktators wurde auf dem Gipfel des Kehlsteins das Kehlsteinhaus gebaut, gedacht als Besprechungsort der Nazi-Bonzen und ihrer Gäste. Hitler war dort oben nachweislich nur 14mal. Der Lift war ihn zu unsicher gegen Angriffe der Aliierten. 30 Millionen Reichsmark, heute umgerechnet 133 Millionen Euro kostete die Errichtung der beiden Straßen, des Hauses und des Liftes. Fast 4000 Menschen arbeiteten 13 Monate lang an diesem monströsen Projekt. Martin Bormann, der Verwalter des Areals und wichtiger Vertrauter Hitlers trieb persönlich die Bauarbeiter an. Hunderte meist schwere Unfälle waren unter den deutschen, österreichischen und italienischen Bauarbeitern zu beklagen, mindestens 12 Menschen kamen dabei ums Leben.

Heute ist es jedes Jahr ein Ausflugsziel für Hunderttausende von BesucherInnen. Noch immer führt der einzige Weg in die luftige Höhe über die Gebirgsstraße – Busse fahren die Gäste über die kurvenreiche Strecke auf 1700 Meter. Die letzten 134 Meter werden mit einem Aufzug im Inneren des Berges zurückgelegt.

Wir gingen die über 850 Höhenmeter zu Fuß vom Dokumentationszentrum weg. Teilweise noch auf den Überresten des stinkenden Asphaltbandes, das in den nächsten Jahren schrittweise abgetragen wird. Weite Teile des Kehlsteingeländes sind an diesem Tag gesperrt, weil durch die Abrissarbeiten gefährliche Dämpfe entweichen und die Wanderer gesundheitlich gefährden würden. So gehen wir nicht wie geplant auf einem Waldweg über den Kehlriedel, sondern auf einer geschotterten und asphaltierten Umleitung hinauf zum Kehlsteinhaus.

Bei der Busstation gleich beim Luftportal erwartet uns eine lange Menschenschlange, die auf den Zutritt zum kleinen Fahrstuhl wartet. So wie das gesamte Kehlsteinhaus ist der Lift im Großen und Ganzen im Originalzustand des Jahres 1938 geblieben. In der Kabine hängen noch die venezianischen Spiegel, auch der Messingboden ist noch Original. 41 Sekunden dauert die Fahrt direkt in die Vorhalle des Kehlsteinhauses.

Obwohl schon seit Jahrzehnten ein stark frequentierter Stützpunkt mit Restaurantbetrieb spüren wir noch die beklemmende Atmosphäre der 40er Jahre. Im ehemaligen Salon, wo noch der von Mussolini geschenkte Kachelofen im Original steht, werden heute bayrische Devotionalien wie Fußball-Leiberl von Bayern München und kitschige Landschaftsbilder und anderes Souvenirzeugs verkauft. Bei dem Gedanken, dass in diesem Raum unter anderem der Überfall auf die Sowjetunion geplant oder die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung besprochen wurde, überkommt vielen von uns ein mulmiges Gefühl. Heute ist der Bayrische Staat Eigentümer des Kehlsteinhauses, hat aber die Gastwirtschaft an den Alpenverein verpachtet. Eine kleine Ausstellung auf der wenig frequentierten Südsteite erinnert an die Geschichte dieses Hauses. Die meisten der BesucherInnen werden hier nicht vorbeikommen, verläuft der Zugang zum Luft auf der anderen Seite des Hauses.

Sperrgebiet Königssee

Viele von uns waren erschreckt über das Gewurrle und so manche Geschmacklosigkeit beim Gipfelkreuz gleich hinter dem Kehlsteinhaus. Ein älterer Herr sang bayrische Volksweisen aus den 20er und 30er Jahren. Viele von fanden das Singen solcher Lieder an diesem Ort schlicht geschmacklos.
Der Gipfel des Kehlsteins ist zugleich Grenze zum Nationalpark. 1978 errichtet, erstreckt er sich über den Gipfelgrat des Göllers, Jenners bis zum Watzmann. Auch der Königssee liegt mitten im Nationalparkgebiet. So wie das Kehlsteinhaus zählt der See zu den TOP-Ausflugsgebieten Bayerns. Über eine Millionen Gäste fahren jedes Jahr mit den 19 Schiffen über den See. Die Elektroschiffe sind die einzigen Transportmitteln vom Hauptort Schönau zu den Plätzen an den anderen See-Ufern. Durch die Schroffheit der Felsen konnte dorthin keine Straße angelegt werden.

Die Nationalpark-Rangerin Carmen Kraus erzählt uns vieles über den Nationalpark. Wichtigstes Ziel ist der Schutz der gesamten Natur, dem sich die anderen Ziele unterzuordnen haben. Hierbei geht es nicht mehr nur um den Schutz einzelner Pflanzen und Tiere im Sinne des klassischen Artenschutzes. Vielmehr sind grundsätzlich alle Pflanzen und Tierarten streng geschützt. Da man die Natur weitgehend sich selbst überlässt, sind auch Prozesse wie zum Beispiel Erosion geschützt und können ungestört ablaufen. Um auch Kulturlandschaften integrieren zu können, ist der Nationalpark in eine komplett geschützte Kernzone und in eine Pflegezone, welche maximal 25 % der Fläche einnehmen darf, unterteilt. Durch die Einrichtung der Pflegezone lassen sich nun „Kulturbiotope“ oder einzelne Arten schützen.

Forschungsschwerpunkte im Nationalpark Berchtesgaden sind zum einen die Grundlagenforschung, zum anderen anwendungsbezogene Forschung. Man möchte bestehende Umweltprobleme verstehen, um sie lösen oder vermeiden zu können. Meist bedeutet dies Ökosystemanalyse. Ein weiterer wichtiger Teil der Forschung ist die langfristige Umweltbeobachtung. So kann man in Mitteleuropa fast nur noch in Nationalparks natürliche, vom Menschen kaum beeinflusste Abläufe beobachten.

Die größeren Säugetiere sind im Nationalpark Reh, Rothirsch, Gämse und der Alpensteinbock. Letzterer wurde unter anderem vom Nazi-Bonzen Hermann Göring eingesetzt, der am unteren Ufer ein Zuchtgehege errichten ließ. Zu den kleineren Arten zählen das Alpenmurmeltier, der Schneehase und die Schneemaus.
Carmen Kraus beteiligt sich neben ihrer Bildungsarbeit an Forschungsprojekten zu den Steinadlern. So beobachtet sie mit Kollegen die Aufzucht der Jungvögel und untersucht deren Nahrung. Ursprünglich zählten auch Wisente, Luchse, Braunbären und Wölfe zur Fauna des Gebietes. Bei einigen dieser Arten – wie beim Wolf - scheint eine Einwanderung aus angrenzenden Gebieten in absehbarer Zeit möglich, gezielte Auswilderungen wie im Nationalpark Kalkalpen sind allerdings nicht geplant.