Einigkeit herrschte von Beginn an über eine notwendige Veränderung unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Wie die anstehenden Übergänge jedoch konkret zu gestaltet sind, wurde engagiert und emotional diskutiert. Es scheinen einzig zwei Wege zur Wahl zu stehen: Ist unser Ziel, auf ein ökologisch und sozial verträgliches Wachstum umzusteigen - Stichwort Green New Deal - oder müssen wir uns rasch von der Wachstumsfixierung verabschieden und Strategien für ein Gutes Leben für alle in der Stagnation oder gar Schrumpfung finden? Dies war der Ausgangspunkt der Diskussionen, der die Teilnehmer*innen der Grünen Sommerakademie an drei spannenden und dichten Akademietagen begleitete. Doch schon bei seinen Eröffnungsworten stellte Andreas, Novy, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt fest, dass diese vermeintlichen Gegensätzen in einen größeren Rahmen zu stellen seien, nämlich der Frage, wie gesellschaftliche Mehrheiten für den Übergang von einer Gesellschaft, in der Teilhabe über Konsumchancen funktioniert, zu einer nachhaltigen und solidarischen Gesellschaft möglich wird, in der ein gutes Leben für alle ohne ein Immer-Mehr gewährleistet wird.
Elmar Altvater, unter anderem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac Deutschland und emeritierter Universitätsprofessor für Politikwissenschaft an der FU Berlin, hatte die Aufgabe die Diskussion mit einem Impulsvortrag zu eröffnen. In diesem positionierte er sich klar auf der Seite der Wachstumskritiker*innen.
Wachstum – ein nicht so altes Konzept wie vermutet
Zu Beginn seines Vortrages stellt Elmar Altvater fest, dass Wachstum in vorindustriellen Gesellschaften, also bis ca. 1800, als Thema überhaupt nicht existierte. Ganz im Gegenteil. Produktivitätssteigerung und Innovation wurden häufig verhindert. Wachstum begann erst mit der industriellen Revolution, Anfang des 19. Jahrhunderts, ein für die Gesellschaft wichtiges Prinzip zu werden. Ausgangspunkt dieser Dynamik war die „Dreifaltigkeit“ von erstens europäischer Rationalität der Weltbeherrschung - ein Produkt der Aufklärung - zweitens der Entstehung einer Geldwirtschaft und einer kapitalistischen Gesellschaftsform, sowie drittens der Nutzung fossiler Energien. Diese ermöglichte eine zuvor undenkbare Produktion von Überschüssen. Seither, meint Altvater, komme es in der kapitalistischen Gesellschaft zu einer regelrecht fetischisierten Anbetung des Wachstums. Durch die derzeitige Krise findet allerdings eine Hinterfragung des Wachstumsdogmas statt, worin Altvater eine Zeitenwende ausmacht.
Wachstum hat eine gesellschaftliche Form.
Altvater führt in weiterer Folge aus, dass Wirtschaftswachstum immer eine gesellschaftliche Form brauche, sozusagen einen Rahmen. Im Realsozialismus wurde es durch den Plan der Partei vorgegeben und ausgestaltet. In kapitalistischen Ländern hingegen wird Wachstum vom Profitmotiv, dem Zwang zu akkumulieren, angetrieben. Diese gesellschaftliche Form gestalte nun auch notwendige Stoff- und Energietransformationen der Natur - die Verbrennung fossiler Ressourcen -, womit wir beim ökologischen Problem des Wirtschaftswachstums angekommen sind. Außerdem sei die Ausformung des Wachstums auch von gesellschaftlichen Innovationen bedingt. So mache es einen Unterschied, ob ich eine Mühle mit Sklaven, Wasser oder Wind betreibe. Dieses Verhältnis ist allerdings ein wechselseitiges, wodurch klar werde, warum die ökonomische Wachstumssphäre immer mit der gesellschaftlichen Sphäre verknüpft zu betrachten ist.
Was passiert wenn wir nun von den fossilen Energieträgern Abschied nehmen und uns hin zu erneuerbaren Energien bewegen wollen? Können wir dieselbe gesellschaftliche Form beibehalten, welche sich wesentlich durch Mobilität, künstliches Licht und die Unabhängigkeit von Jahreszeiten auszeichnet? Es löse laut Altvater ein regelrechtes Erschrecken aus, wenn wir bedenken, welche gesellschaftlichen Konsequenzen eine Transformation unserer Energiequellen haben könnte und müsste. Dies wirft die eingangs von Novy aufgeworfene Frage auf, wie dieser Übergang verträglich gestaltet werden kann.
„Entweder wir schützen den Planeten Erde oder aber wir erhalten die Prinzipien des Kapitalismus aufrecht.“
Die ökologischen Grenzen seien uns bewusster, da schlichtweg nicht mehr Öl gefördert werden könne als vorhanden ist. Was jedoch oft vergessen werde, ist, dass alles in der Natur nicht nur begrenzt sei, sondern auch einer irreversiblen Logik folge. Konkret gesagt: Verbrennung von fossilen Rohstoffen ist endgültig, ihre Spuren hinterlässt sie lediglich in unserer Atmosphäre. Die gesellschaftliche Form baue allerdings auf Reversibilität auf. Im Gegensatz zur Natur, kehre das Kapital in einer Art Kreislauf zu sich selbst zurück. Der Profit - also die Überschüsse der Produktion - würden wieder reinvestiert, zumindest im Idealfall. Daran macht Altvater den Doppelcharakter des Produktionsprozesses, bestehend aus zwei Seiten, fest: die irreversible Veränderung der Natur und die Reversibilität als gesellschaftliche Seite zur Produktion von Profit. Hier bestehe ein Zusammenhang, der aufzeigt, dass wir nicht nur an natürliche Grenzen unseres Systems stoßen - dies wäre eine zu verkürzte Betrachtung des Gesamtproblems. Die Ursprünge der kapitalistischen Krise sind auch wesentlich auf der Wertseite, der zwanghaft notwendigen Profiterzielung auszumachen.
Aus diesen analytischen Überlegungen ergeben sich laut Altvater auch zwei politische Alternativen. Entweder verleugnen wir den Klimawandel, wie etwa die Tea Party in den USA, oder wir erkennen ihn an. Dies impliziere allerdings eine Bekämpfung der Ursachen, welche in der kapitalistischen Gesellschaftsform liegen. Altvater ruft deshalb, anschließend an Naomi Klein, zur Erkenntnis progressiver Kräfte auf, dass der Kapitalismus und seine gesellschaftliche Form angegriffen werden müssen, um die ökologische Krise zu lösen.
Die Hardware, die Software und die multiple Krise
Zur besseren Veranschaulichung der gegenwärtigen Krise vergleicht Altvater die natürlichen Quellen des Wachstums - die fossilen Energieträger und damit die stoffliche Seite der Produktion - mit der Hardware eines Computers. Der gesellschaftliche Rahmen der Überschuss- und Renditenproduktion, die auf Zeichen basierende Bewertung der Produktion, mit der Software. Während die Hardware, vor allem das Energie- und Verkehrssystem, immer offensichtlicher an Grenzen stößt, scheint die Software beliebig räumlich ausweitbar und durch technologische Innovationen expansionsfähig – zum Beispiel in Gestalt von raum-zeit-überwindenden Finanzmärkten. Doch genau dort verortet Altvater den Kern der Krise. Private Schulden halfen eine Zeit lang die fehlende Kaufkraft zu kompensieren – zum Beispiel in Form von Subprime-Krediten. Doch in der Krise wurden private Schulden in öffentlichen umgewandelt. Nach Jahrzehnten privater Bereicherung wurden nun die Verluste sozialisiert. So verwandelte sich die Finanzkrise in eine Fiskal- und Währungskrise, die nun mit Sozialabbau und und radikalem Sparen bekämpft wird. Wir haben es heute mit einer multiplen Systemkrise zu tun.
Grünes Wachstum oder radikale Kapitalismuskritik?
Am nächsten liegen nun eine Restrukturierung der Finanzmärkte sowie eine Zerschlagung der Großbanken, um die dringendsten Ursachen der Krise zu beseitigen. Aber auch an die Hardware müsse sich herangetraut werden. Vorschläge wie ein Green New Deal, Grünes Wachstum oder der Trick 17 des „Lassen wir die Grenzen wachsen“ seien laut Altvater nicht nachhaltig. Es müsse Naomi Kleins Alternative der Infragestellung des Kapitalismus ernst genommen werden. Wenn der Planet gerettet werden soll, müssen wir seine heute herrschende Software, den Kapitalismus, reden. Die Übergänge hin zu Gesellschaften des guten Lebens, in denen sich unser System ohnehin schon befindet, müssen erkannt und in weiterer Folge gestaltet werden. Als konstruktive Initiativen in diesem Übergäng identifiziert Altvater, Genossenschaften und die Solidarökonomie.
Reaktionen und Anregungen aus dem Publikum.
Nach einer kurzen Reflektionsphase für das Publikum und der Möglichkeit Fragen und Kommentare zu äußern, spezifizierte Altvater noch einige seiner Punkte.
So müsse die Restrukturierung der Finanzmärkte zum Beispiel durch eine Umlenkung liquiden Kapitals geschehen. In diesem Zusammenhang steht der Hinweis, dass Schuldenabbau nur durch Reduktion von Vermögen an einem anderen Ort möglich sei. Auch die Idee, wir könnten ein neues System erschaffen und uns sofort vom alten verabschieden, relativiert Altvater. Von außerhalb kann weder gesteuert noch agiert und womöglich nicht einmal gedacht werden. Wir befinden uns schon innerhalb des Transformationsprozesses und dieser wird sich durch harte politische und gesellschaftliche Konflikte auszeichnen. Wie dieser enden wird, ist nicht absehbar und es bleibt zu hoffen, dass der radikale Wandel keinen Totalzusammenbruch des Systems benötigt. Denn dieser könnte auch zu einer radikalen Wende Richtung rechter Sicherheitspropaganda führen, worüber sich auch die linken Kräfte und somit die Grünen bewusst werden müssen.
Die Autorin Julia Seewald hat Politikwissenschaft studiert und ist Mitglied des Redaktionsteams der GBW Wien.