„“ oder „“. So oder so ähnlich ist es häufg in den Presseaussendungen der Landespolizeidirektion Wien (LPD) und in der Folge in den Zeitungen der Stadt zu lesen. Ein medial erzeugtes Bild der regellosen RadfahrerInnen wird dadurch verstärkt: Schon wieder sind RadfahrerInnen irgendwo dagegengestoßen, schon wieder gibt es Verletzte.
Die Überschriften geben die Stimmung vor und bei sehr vielen Leserinnen kommt auch nicht mehr an. Dass im kleingedruckten Langtext die mit den Überschriften erzeugten Bilder und Stimmungen immer wieder relativiert oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden, bleibt häufig unbemerkt. Nicht die Radfahrerin stieß gegen den PKW, sondern, wie regionews.at über den ersten, oben erwähnten Unfall schreibt: „“. Und beim zweiten Beispiel handelte es sich um klassisches Dooring, also um das unachtsame Öffnen der Autotür, eine häufige Unfallursache, die sogar immer wieder zu Todesopfern führt. Die Fakten lassen sich durchaus aus den Presseaussendungen der LPD Wien herauslesen, doch die Überschriften wecken ganz andere Emotionen.
Vorwurf: Tendenziöse Berichterstattung
Mit dem Vorwurf der tendenziösen Berichterstattung sieht sich auch die Pressestelle der Polizei immer wieder konfrontiert. „Wir haben leider mehrfach Anlass gehabt, tendenziöse Wortwahl, die präjudizierend und menschlich unsensibel war sowie Täter-Opfer-Umkehr betrieben hat, gegenüber der Pressestelle der Polizei zu kritisieren“, so Alec Hager, Sprecher der Radlobby Wien. Die Pressestelle der Polizei sieht das anders: Im Rahmen der Presseaus- sendungen verkehrspolizeilicher Vorfälle würden spezielle Personengruppen (Fußgängerinnen, Radfahrerinnen oder Autofahrerinnen) weder positiv noch negativ dargestellt. „Ob und inwiefern diese objektiven Tatsachenberichte von vereinzelten Lesern subjektiv in die eine oder andere Richtung interpretiert werden, kann seitens der Behörde bzw. Pressesprecher nicht besorgt werden“, so das LPD Wien auf Nachfrage.
Diese zwei gegensätzlichen Aussagen führen zur Frage: Stimmt der Vorwurf, dass Pressemeldungen tendenziell ein schlechteres Bild von FahrradfahrerInnen im Vergleich zu AutofahrerInnen vermitteln? Wir sind dieser Frage nachgegangen und haben 109 Unfall- meldungen aus dem OTS-Archiv im Zeitraum vom 1. Jänner 2016 bis zum 8. Juli 2017 analysiert.
Unsichtbar vs. medienwirksam
Grundsätzlich bemüht sich das LPD um eine schlichte, unpersönliche Sprache. Es werden viele Passivkonstruktionen verwendet und auch meist möglichst wertfreie Sprache. Der Standard-Titel lautet „X Verletzte bei einem Verkehrsunfall“. Schuldzuweisungen sind nur in wenigen Fällen explizit, meistens mit Verweis auf eine Verkehrsregel oder als Zeugenzitat.
Tendenziell wird bei den untersuchten Unfällen aus der Opferperspektive getitelt, wie zum Beispiel: „Zwei Verletzte bei Verkehrsunfall“. So klare Opfer-Täterinnen-Umkehr wie im eingangs erwähnten Beispiel ist statistisch gesehen also ein Ausreißer.
Was jedoch auffällt: Wenn Autos und FußgängerInnen am Unfall beteiligt sind, kommen letztere im Titel kaum vor, sind RadfahrerInnen involviert, ist es anders. Autos sind bei Verkehrsunfällen normalisiert, werden also nicht explizit erwähnt.
Autolenkerinnen werden nur in besonderen Fällen, etwa wenn sie alkoholisiert waren, auch explizit im Titel genannt. Der Begriff „Verkehrsunfall“ bedeutet also, dass Autos beteiligt sind, obwohl die Wienerinnen laut Modal Split 2016 nur 27 % ihrer Wege mit dem PKW zurückgelegt haben. Die Assoziation ist aber dennoch verständlich, schließlich sind bei den jährlich laut Statistik Austria etwa 5800 Verkehrsunfällen mit Personenschaden in der Stadt knapp 7500 PKWs (1,3 pro Unfall), aber nur knapp 1400 Fußgängerinnen (0,25 pro Unfall) und nur ca. 1000 Radfahrer-innen (0,17 pro Unfall) beteiligt.
Die Folgen des unsichtbaren Autos
Dieses Verhältnis Rad zu Auto von 1:7 bei den Unfallbeteiligten, das die Statistik Austria berechnet hat, schrumpft bei den Presseaussendungen der LPD Wien im 1. Halbjahr 2017 auf ca. 1:3. Unfälle mit Rad-Beteiligung sind also für die Pressestelle etwa doppelt so berichtenswert wie Unfälle mit Auto-Beteiligung. Wirklich interessant ist aber, welche Radunfälle es in die OTS schaffen:
Während laut Kuratorium für Verkehrssicherheit im Zeitraum von 2012 bis 2015 österreichweit drei Viertel der Unfälle zwischen Radfahrerinnen und Autofahrerinnen , ist dieses Verhältnis in den Presseaussendungen im Untersuchungszeitraum fast umgekehrt: Dort werden zwei Drittel der berichteten Unfälle mit Fahrradbeteiligung von Radfahrerinnen verursacht.
Nun ist es klar, dass „Mann beißt Hund“ interessanter ist als „Hund beißt Mann“, doch sollte die Pressestelle der Polizei nach einer anderen Logik funktionieren als ein Boulevard-Blatt. Die Konzentration auf die verhältnismäßig wenigen Verkehrsunfälle, die von RadfahrerInnen verursacht werden, ist ein Ärgernis, das dazu beiträgt, ein negatives Bild vom Radfahren in der Stadt zu erzeugen und zu festigen.
Würde die LPD in ihren Aussendungen vorwiegend über von Frauen verursachte Unfälle berichten, obwohl laut Kuratorium für Verkehrssicherheit Männer zu zwei Drittel die Hauptverursacher sind, gäbe es zu Recht einen Aufschrei. Diesen Aufschrei muss es auch geben, wenn das beschriebene Unfallgeschehen der Stadt in Bezug auf Fahrräder in krassem Gegensatz zu den Statistiken steht.
Nadine Mittempergher, Christoph Peterseil und Georg Maißer