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Wie der Beitrag zur Last wird

Die Wirtschaftspolitik entspricht der Sprache. Von Valentina Duelli

Was löst die Vorstellung einer „Last“ in uns aus? Der Duden beschreibt die Wortbedeu- tung als „etwas, was drückend, schwer auf jemandem liegt; größeres Gewicht, das etwas belastet“. Als Beispiel werden auch „finanzielle, wirtschaftliche Belastung, Verpflichtung; Abgaben, Steuern“ genannt.

Die Verbindung der beiden Worte „Steuer“ und „Last“ erzeugt ein konkretes negatives Bild, meint Sprach- und Kognitionswissenschafterin Elisabeth Wehling. „Unser Denken ist nur zu zwei Prozent ein bewusster Prozess. Sprache bestimmt unser Denken, nicht Fakten“, erklärt Wehling die Grundthese ihrer Arbeit. Sie erforscht sogenannte „Frames“, was sich mit „Deutungsrahmen“ über- setzen lässt. Diese Deutungsrahmen ent- stehen durch die Erfahrungen, die wir im Leben machen, und helfen unserem Gehirn, alles, was wir erleben, sehen oder hören, zu begreifen und einzuordnen.

VON DER STEUERLAST ZUM STEUERBEITRAG

Wehling beschreibt Steuern als etwas Abstraktes, das wir weder fühlen, riechen noch sehen können. Um den Begriff zu verstehen, greifen wir auf die Erfahrungen zurück, die wir mit Steuern gemacht haben – wir geben dem abstrakten Wort einen Rahmen, der es für uns begreiflich macht.
Wenn wir also beispielsweise Steuern mit Geld und Bezahlung verbinden, erwarten wir Leistungen, die man sich kaufen kann, und denken weniger an ein solidarisches Miteinander. „Wir erwarten uns eine Leistung für die Steuern und blenden unsere gemeinsame Verantwortung für den Staat und die Verantwortung des Staates für seine Bürgerinnen völlig aus“, so Wehling. Die sogenannte Steuerlast sei demnach mit der negativen Vorstellung verbunden, dass es besonders jene Menschen trifft, die hart arbeiten. Menschen, die auf Sozialleistungen wie Mindestsicherung oder Notstandshilfe angewiesen sind, leben dieser Logik nach auf Kosten anderer. Aus diesem Deutungsrahmen heraus betrachtet wirken Steuern ungerecht.

Würde man von „Steuerbeitrag“ sprechen, könnte das ein ganz anderes Bild zeichnen: Jede trägt je nach den individuellen Möglichkeiten zum Gemeinwesen bei. Eine solche Sicht vertrat der einflussreiche amerikanische Jurist und Pragmatist Oliver Wendell Holmes, von dem der Aus- spruch überliefert ist: „Ich zahle gerne Steuern. Mit ihnen kaufe ich mir ein Stück Zivilisation.“ Steuern können so als sinn- volles Instrument für mehr Solidarität in der Gesellschaft gesehen werden, also als etwas durchaus Positives.

SPRACHE IST POLITIK

Wenn sich also das Bild von gemeinsa- men, demokratisch legitimierten Ein- und Ausgaben des Staates, also von Steuern, in einer Gesellschaft zum Po- sitiven ändern soll, braucht es dement- sprechendes politisches Framing. „Der rechte Flügel des politischen Spektrums hat die hierfür notwendigen Metaphern wie Steuerbelastung, Steuerflucht oder Steuermelkkuh längst gefunden“, meint Wehling. In diese Kategorie passt auch die Steuerbefreiung. Wer keine Steuern zahlen muss, ist demnach frei. Ein ähn- liches Bild zeichnet die Steueroase oder das Steuerparadies: ein Ort, an dem es keine oder nur sehr geringe Steuern auf Einkommen und Vermögen gibt. Steu- ern werden also als ein Übel dargestellt, von dem es sich zu befreien gilt.

Auch in der Arbeitswelt beeinflusst Sprache unsere Wahrnehmung. Oft kommt es dabei auf die Perspektive an, aus der wir die Welt sehen. Es gibt den Ausdruck „Geringverdienerin“, nicht aber „Geringentlohnerin“. „Sich etwas ‚zu verdienen‘ bedeutet, dass man für eine Handlung angemessen ent- lohnt wird. Bei vielen Menschen hängt die Höhe des Einkommens aber von Bedingungen ab, die sie kaum beeinflussen können. Eine Kindergärtnerin bekommt viel weniger Gehalt als eine Managerin. ‚Verdient‘ sie wirklich weniger?“ fragt Wehling. Durch den Zusatz „gering“ wird also auch die Leistung herabgesetzt, ohne nach den Gründen zu fragen, warum manche Jobs besser bezahlt sind als andere.

VOM „WILDEN TIER“ UND DEM „VIRUS“

Wie sehr Sprache unser Handeln tat- sächlich prägt, haben Wissenschaftle- rinnen bereits in Experimenten nachgewiesen. An der Stanford University legte eine Psychologin Probandinnen jeweils eine veränderte Versionen desselben Texts vor. Der Text handelte von Kriminalitätsproblemen in einer erfundenen Stadt, nur ein Satz unter-

schied die beiden Versionen: Im ersten Text wurde Kriminalität als „wildes Tier“ bezeichnet, im zweiten Text als „Virus“. Aufgabe der Versuchspersonen war es, sich Strategien zur Senkung der Kriminalitätsrate zu überlegen.

Die erste Gruppe, in deren Text Krimi- nalität als „wildes Tier“ beschrieben wurde, sprach sich für strengere Gesetze und härtere Strafen aus. Die zweite Gruppe hingegen, denen Kriminalität als „Virus“ präsentiert wurde, schlug vor, erst nach den Ursachen zu forschen. Als Grundlage für die Entscheidung gaben beide Gruppen den selben Grund an: Die Kriminalstatistik im Text, die in beiden Versionen die gleiche war. Wie wir von etwas sprechen und wie wir etwas be- schreiben, kann demnach direkte Aus- wirkungen auf unser Handeln haben. Die Verwendung von Metaphern wie „wildes Tier“ oder „Virus“ kann dabei eine zentrale Rolle spielen, ähnlich wie „Last“ und „Beitrag“ in der Steuerfrage. Metaphern sind Teil der Deutungsrah- men, durch die wir die Welt sehen.

VERÄNDERUNG BRAUCHT ZEIT

Wehling warnt jedoch davor, nur durch das Austauschen von einzelnen Worten rasche Veränderungen in der Steuerdebatte zu erwarten. Die Annahme, Steuern seinen eine Last und würden uns in unserer Freiheit einschränken, wird auch durch anderes Framing nicht so schnell aus den Köpfen verschwin- den. Wollen wir in Zukunft von Steuern als einem notwendigen Instrument für ein solidarisches Miteinander sprechen, muss sich zwangsläufig auch die Art ändern, wie politische Entscheidungs- trägerInnen die Debatte führen und nach welchen Deutungsrahmen sie greifen. Dazu braucht es die Bereitschaft, mit alten Denkmustern zu brechen. Und jede Menge Geduld.

Valentina Duelli hat Internationale Entwicklung und Politikwissenschaften studiert und engagiert sich in der politischen Bildungsarbeit.