"Bildungschancen zu vererben ist inakzeptabel" - Harald Walser über Bildungsgerechtigkeit
Harald Walser ist Lehrer und Leiter des BG Feldkirch, seit 2008 Bildungssprecher der Grünen.
Harald Walser: Ja, selbstverständlich. Jeder Jugendliche, der vorzeitig aus dem Schulsystem ausscheidet, hat einen persönlichen Nachteil und ist ein Verlust für die Gesellschaft. Aber es geht auch um die 16 bis 17 Prozent der Kinder, die in Österreich nur die Pflichtschulzeit absolvieren.
Wenn sie nur die Schulpflicht absitzen ohne einen Abschluss zu machen, ist die Möglichkeit auf eine weitere Ausbildung meist nicht gegeben. Daher sind die Grünen dafür, die Schulpflicht beziehungsweise die Ausbildungspflicht (Lehre) bis zum 18. Lebensjahr zu verlängern.
Im Vergleich zu anderen Ländern ist in Österreich die sozioökonomische Situation der Eltern außergewöhnlich relevant für den Bildungsweg der Kinder. Wie wollen die Grünen das ändern?
Vor allem in den ersten Jahren nach der Geburt ist der Einfluss des Elternhauses extrem hoch. Wir müssen uns fragen, ob eine derartige „Vererbung“ von Bildungschancen in einer Wissensgesellschaft akzeptabel ist. Denn hier fallen benachteiligte Kinder aus dem System heraus, die wir sinnvoll und, wenn man es ökonomisch formuliert, gewinnbringend für die Gesellschaft einsetzen könnten.
Das verpflichtende Kindergartenjahr ist ein erster Schritt, aber noch zu wenig. Studien aus England zeigen, dass sich der Vorteil beim Spracherwerb im Kindergarten signifikant erst nach zwei Jahren zeigt. Eigentlich benötigen wir zwei Jahre und dazu eine Kindergarten-Platzgarantie ab dem ersten Lebensjahr für diejenigen, die das wollen.
Ein weiterer wichtiger Faktor sind Ganztagsschulen. Derzeit müssen Eltern Nachhilfe und Betreuung am Nachmittag teuer zukaufen. Das führt zu verstärkter sozialer Selektion. Die Ganztagsschule wäre ein Bekenntnis dazu, dass alle SchülerInnen auf ihrem Bildungsweg von der Institution Schule ganzheitlich begleitet werden.
Warum sollen gerade Bildungsstandards und Zentralmatura zu einer erhöhten Bildungs- und Schulqualität führen?
Die Grünen sind für die Einführung der Bildungsstandards und der teilzen-tralen Matura, weil sie eine ausgleichende Begleitmaßnahme zur sehr notwendigen Individualisierung und Personalisierung des Unterrichts darstellen. Wenn ich den Unterricht individuell auf die SchülerInnen zuschneide, mit modernen pädagogischen und didaktischen Konzepten, dann brauche ich auf der anderen Seite die Möglichkeit, am Ende der Schulpflicht und bei der Matura die Abschlüsse wieder vergleichbar zu machen.
BildungsexpertInnen befürchten, dass in Zukunft nur mehr auf die regelmäßigen Leistungsüberprüfungen hin gelernt wird.
Man muss aufpassen, dass die Standards entsprechend komplex sind, damit das Lernen und das Unterrichten für den Test tatsächlich zu einer sinnvollen Bildungsaufgabe wird. Manche Pädagoginnen und Pädagogen glauben, dass das Aufgaben sind wie „1+1=“, die ich dann auswendig lernen kann. Damit wäre natürlich das Bildungsziel nicht erreicht. Aber ich hoffe, dass die Prüfungen nicht in dieser simplen Art und Weise gestrickt sind.
Nach den Vorstellungen der Grünen sollen die Schulberichte offen gelegt werden. Wird das denWettbewerb zwischen den Schulen erhöhen, und welche Konsequenzen könnte das haben?
Man muss hier vorsichtig sein. Es geht nicht darum, einen Wettbewerb zwischen den Standorten anzuheizen. Es ist aber sinnvoll, dass die einzelnen Lehrkräfte und die Schulverwaltung ein Feedback über Stärken und Schwächen des Unter-richts und der Schule erhalten.
Man soll die Ressourcen, wo sie gebraucht werden, zur Verfügung stellen. Ich kann aus solchen Standards – wenn ich sie gut mache – auch herauslesen, wo Unterstützung notwendig ist. Und das heißt eigentlich das Gegenteil von marktwirtschaftlichem Wettbewerb: Je schlechter eine Schule im Verhältnis ist, desto mehr Ressourcen braucht sie, um aufzuholen. Man darf natürlich auch nicht gute Schulen bestrafen, es muss ein sehr ausgewogenes System sein.
Die Fragen stellten Markus Schauta, Sophie Schafternicht und Anna Walch.