Europäische Friedenspolitik - Missverständnisse, Mythen und Möglichkeiten
Als 1995 die drei Neutralen Österreich, Finnland und Schweden Mitglied wurden, brachte die EG-Kommission zum Ausdruck, dass die Neutralität „Probleme aufwirft“. Die drei Neuen gesellten sich zu Staaten, von denen einige bis dato einen neokolonialen Außenpolitikstil pflegen. Dazu kamen später mit der Osterweiterung Länder, die – mit Blick nach Osten – schneller in die NATO als in die EU wollten. Ein bunter Strauß von 28 Außenpolitiken, die mit einer „gemeinsamen Stimme“ sprechen sollten. Bei Palästina, Syrien, Atomwaffen oder dem Kosovo und den Flüchtlingen zeigt sich, wie das funktioniert. Warum man diesen 28 nun bei allerorts knappen Budgets eine Euro-Armee, rüstungsindustrielle Konzentrationen oder globale Interventionstruppen (z. B. EU-„battle groups“) zur Durchsetzung ihrer uneinigen Interessen zur Verfügung stellen soll, beantworten selbst BefürworterInnen eher ungern. KritikerInnen meinen, dass eine Armee und militärische Muskeln nie die Außenpolitik ersetzen darf. Im besten Fall ist dies wirkungslos, im schlimmsten Fall gefährlich.
Insgesamt wurden seit 2003 im EU-Rahmen 32 Auslandseinsätze (EEAS 05/2016) durchgeführt (laufende und beendete). 10 Einsätze weisen einen militärischen und 21 einen zivilen Charakter auf. Über ein Dutzend der zivilen Einsätze hatten bzw. haben ein Personalkontingent von weniger als 100 Personen. Die militärische Personalstärke aller Einsätze (01/2015) beträgt etwas über 75 %. Knapp 25 % des eingesetzten Personals sind als ZivilistInnen eingesetzt, wobei der Polizei innerhalb des zivilen Teils eine hohe Bedeutung zukommt. Insgesamt haben die Mitgliedstaaten rund 93.000 SoldatInnen und rund 12.500 ZivilistInnen gemeldet. Eine Zivilmacht sieht jedenfalls anders aus.
Eine parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill zeigt eine unschöne Facette der Beiträge Österreichs. Von der Stärkung der „Zivilmacht EU“ kann nicht gesprochen werden. In den 32 Auslandseinsätzen (BMEIA 28.1.2015) hat Österreich 604 Militärs, 53 Personen aus dem Polizeibereich, 8 aus dem Justizbereich und 6 sonstige Personen (Menschenrechte, Gender, politischer Berater, Zollbeamtin, Kabinettschef) entsandt.
Von den insgesamt 671 eingesetzten Personen Österreichs entfallen auf den „Zivil“-Bereich 67, also 9,99 %. Ohne Polizei beträgt der Anteil 2,09 %. Die EU setzte bzw. setzt knapp 25 % ziviles Personal in den laufenden bzw. vergangenen Auslandseinsätzen ein. Österreich – völlig anders als in der innenpolitischen Debatte suggeriert – unterbietet dies und leistet damit mehr Beiträge zu einer Militärmacht als sich diesbezüglich für einen zivilen Paradigmenwechsel zu engagieren. Auch das EU-Parlament beklagt die mangelnden Fortschritte im zivilen Bereich.
Das 1993 skizzierte „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ ist heute auch sicherheits- und militärpolitisch weitgehend Realität geworden. Der Vertrag von Lissabon kennt dazu zwei Modelle, nämlich die Beauftragung einer Staatengruppe vom Rat und eine Ständig Strukturierte Zusammenarbeit. Die Kriterien für Kerneuropa definieren sich gemäß dem EU-Defence College (ESDC) allesamt militärisch oder rüstungsindustriell. In der Rüstungsindustrie funktioniert die Zusammenarbeit der Fähigen und Willigen beispielsweise in den Bereichen Drohnen, Weltraum oder Seestreitkräfte. Das von vielen erhoffte Projekt zur Aufhebung der Nationalismen entpuppt sich hier als Hierarchisierung der Nationalstaaten. Der Vorschlag eines zivilen Kerneuropa – als Vorstoß für ursachenorientierte zivile Krisenprävention, ziviles Krisenmanagement oder Abrüstung – bleibt ungehört.
Rüstung
In den Jahren 2011-2015 lagen die USA betreffend konventioneller Waffenexporte an der Weltspitze, gefolgt von Russland und den EU-Staaten. Von den 10 größten Waffenexporteuren lagen 5 in der EU (F, D, GB, E, NL). Noch vor wenigen Jahren waren die EU-Staaten Rüstungsexportweltmeister. Für die entsprechende Agentur zur Förderung von Rüstungsexporten (sog. EU-Verteidigungsagentur) hat die EU jedenfalls keinen Friedensnobelpreis bekommen.
Schwer zu begründen ist auch, wie Rüstungsexporte mit Menschenrechten in Einklang zu bringen sind. Nicht selten tauchen Waffen aus EU-Staaten in Kriegsgebieten auf. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Außen-, sicherheits- und militärpolitische Belange sind reich an doppelten Standards und gehörigen Demokratiedefiziten.
Ein aktuell laufender Vorstoß Österreichs zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen („Humanitarian Pledge“) brachte die Unterstützung von bislang 127 Staaten (06/2016). Nur 4 der 28 EU-Staaten – nämlich Österreich selbst, Malta, Irland und Zypern – bekennen sich zur nuklearen Abrüstung. Bündnisloyalitäten spielen dabei eine bedeutende Rolle.
Globale Ordnung
Frieden und Sicherheit sind hierzulande in wesentlichen Teilen eine institutionelle Monokultur. Auch ein Blick in die Österreichische Sicherheitsstrategie zeigt die geschwundene Bedeutung der OSZE oder der Vereinten Nationen. Versichert man in Österreich, nicht ohne ein UN-Mandat militärisch zu agieren, so erlauben sowohl offizielle EU-Papiere als auch der österreichische Verfassungsartikel 23 j im äußersten Fall ein völkerrechtswidriges militärisches Eingreifen.
Die UNO ist auch für die Zukunft das global und integrierend wirkende Forum und Entscheidungsgremium. Unabhängig davon, ob die USA, China oder die EU die (Un-)Ordnung des Globus orchestrieren, braucht es akzeptierte Gestalter künftiger wetterfester Ordnungsstrukturen. Die aktuellen politischen und ökonomischen Machtübergänge (BRICS-Staaten, Schanghai-Organisation, Entwicklungsbank oder Asiatische Infrastruktur Investmentbank) benötigen konstruktive Dialogmöglichkeiten auf Basis des völkerrechtlichen Gewaltverbots.
Das Regierungsprogramm, die Sicherheitsstrategie oder der Leitfaden „Sicherheit und Entwicklung“ räumen der Konfliktprävention einen hohen Stellenwert bzw. eine Priorität ein. An einer effektiven Umsetzung mit Strahlkraft scheitert es jedoch. Um ursachenorientierte zivile Prävention wirksam werden zu lassen, bietet ein breiter Friedensbegriff die Grundlage. Dies schließt Fragen wie globale Verteilungspolitik, faire Wirtschaftsbeziehungen, Armutsbekämpfung, Klima-, Umwelt- oder Energiepolitik mit ein. Die Lösung der miteinander verbundenen Problemkomplexe ist kein Almosenverteilungsprojekt, sondern liegt im gemeinsamen Interesse. Eine Debatte über die Grenzen des ökonomischen Wachstums hat längst auch China erreicht. In Kooperation mit internationalen Organisationen, staatlichen Akteuren innerhalb und außerhalb der EU sowie der Zivilgesellschaft wäre die Erarbeitung einer umfassenden Präventionsagenda nicht nur ein Mehrwert , sondern auch ein Beitrag gegen neue Zäune und Mauern in Europa.
Roithner Thomas: Schöne Götterfunken? Sicherheitsinteressen, aktive Friedenspolitik, die internationale Unordnung und die militärische Entwicklung der EU, Wien 2015.
Thomas Roithner ist Friedensforscher, Journalist und Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, www.thomasroithner.at