Gewalt gegen Frauen: Erschreckende Einblicke in die Lebensrealität von Frauen in Europa
Jede dritte Frau in Europa ist Opfer von Gewalt.
Eine Anfang März veröffentlichte Studie der Europäischen Grundrechteagentur (FRA)beweist: Sexuelle und psychische Gewalt gegen Frauen ist in Europa weiter verbreitet als bisher angenommen – und die Dunkelziffer hoch.
Befragt wurden insgesamt 42.000 Frauen in allen 28-EU-Mitgliedsländern. Hochgerechnet auf die absolute EU-Bevölkerung der Frauen zwischen 18 und 74 Jahren, haben geschätzte 13 Millionen Frauen EU-weit körperliche Gewalt erfahren, rund 3,7 Millionen Frauen waren sexueller Gewalt ausgesetzt. Von den befragten Frauen, die in einer Beziehung mit einem Mann sind oder waren, haben sogar 22 Prozent körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren, ein Drittel davon wurde öfter als sechs Mal vom Partner vergewaltigt. Ebenso viele Frauen erleiden psychische Misshandlung in der Partnerschaft oder sind der Verfolgung durch ehemalige oder aktuelle Partner ausgesetzt (Stalking).1
Im Berufsalltag korrelieren die Zahlen mit dem Alter und der Position innerhalb des Unternehmens: Junge Frauen und Frauen in Führungspositionen sind am stärksten von sexueller Belästigung betroffen. In den sozialen Medien ist die Hemmschwelle dabei besonders niedrig.
Wen kümmert's ?
Diese Zahlen allein sind schon alarmierend – in einem Europa, das sich grosso modo für ziemlich fortschrittlich hält. Noch alarmierender sind die öffentlichen Reaktionen auf die Ergebnisse der Studie: Von den Medien unter der Wahrnehmungsgrenze behandelt, von Politik und Gesellschaft als private Angelegenheit systematisch unter den Teppich gekehrt. Ein Blitzlicht aus Österreich: Ein kurzer, pointierter Kommentar von Karin Strobl (Chefredakteurin Regionalmedien Austria, Vorsitzende des Frauennetzwerk Medien) in einer wöchentlichen Gratiszeitung hat nicht nur aggressiv-untergriffige Leser-Reaktionen zur Folge, für die häusliche oder sexuelle Gewalt an Frauen gefälligst ein Tabuthema zu bleiben hat, sondern auch eine schockierende Anzahl von Mails, in denen Frauen ihren unfassbaren Leidensweg schildern.
Rechtsnormen für Opferschutz implementieren.
Aus der Isolation einer Gewaltspirale auszubrechen, erfordert Mut und Hilfe. Angesichts der traumatisierenden psychischen, physischen und emotionalen Auswirkungen von Gewalt zeigt sich auch hier ein dringender Handlungsbedarf für die Politik. Ein erster, wichtiger Schritt sei laut Studienautorin Joanna Goodey die Verabschiedung von Rechtsnormen wie der Istanbuler Konvention für besseren Opferschutz, zu der sich gerade erst einmal drei EU-Staaten durchringen konnten. Diese Richtlinie legt Mindeststandards für die Rechte, den Schutz und die Unterstützung von Opfern in der EU fest, was nicht zuletzt auch die Schulung von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern im Umgang mit Betroffenen beinhaltet. Strafrechtsexpertin Joanna Goodey: "Es existiert eine Kultur dem Opfer die Schuld zu geben – dadurch kommt ein Großteil der Gewalt nicht zur Anzeige und die Täter müssen sich in den wenigsten Fällen dem Recht stellen.“
Ein neues Modell für Europa.
Gewalt gegen Frauen betrifft nicht nur einzelne Frauen, sondern wirkt sich tagtäglich auf die gesamte Gesellschaft aus. Das enorme Ausmaß struktureller Gewalt erfordert einen konsequenten und umfassenden Wandel: Wenn Europa gerade dieser Tage als Friedensprojekt beschworen wird, darf für reaktionäre Gesellschaftsbilder und die Verharmlosung von Gewalt in der Familie kein Platz sein.
„You never change things by fighting the existing reality. To change something, build up a new model that makes the existing model obsolete“, wusste schon Richard Buckminster Fuller. Aber bisherige Maßnahmen setzen am Istzustand an, ohne Vision für eine andere, bessere Gesellschaft. Das neue Modell, das die Grüne Bildungswerkstatt von der EU einfordert, setzt einen klaren Fokus auf die Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten und gegen den fortschreitenden Abbau persönlicher Rechte. Finanzielle Mittel für Menschenrechtsarbeit (dazu zählt auch die Erhaltung von Frauenhäusern) sind aus den Austeritätsprogrammen herauszunehmen.
Dagmar Tutschek ist geschäftsführende Obfrau der Grünen Bildungswerkstatt Burgenland und Obmann-Stellvertreterin der GBW Österreich.
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1 Zusammenfassung der Ergebnisse:
http://fra.europa.eu/de/publication/2014/gewalt-frauen-erhebung-ergebnisse-auf-einen-blick