Ingrid Felipe - Sich für ein Gutes Leben für alle einzusetzen macht glücklich
Was macht für Sie ein gutes Leben für alle aus?
Grundlegend für ein gutes Leben ist Sicherheit, im Sinne von frei sein von Angst. Die tief gehenden Ängste sind Existenzängste. Wer frei von Angst leben will, braucht existenzielle Dinge wie Essen, Unterkunft, Wärme. Darüber hinaus sind aber auch faire Chancen, die Möglichkeit sich weiterzuentwickeln und das Gefühl, wahrgenommen zu werden, wichtig. Diese Rahmenbedingungen sind die Grundlage für ein gutes Leben für alle. Der Zusatz „für alle“ ist natürlich etwas Spannendes. Dieser Rahmen sollte für alle gleichermaßen geschaffen werden, unabhängig davon woher die Menschen kommen, woran sie glauben, oder wen sie lieben.
Sie haben eben den Zusatz „für alle“ angesprochen. Beim Begriff „gutes Leben“ würden ja viele Menschen nicken, aber wenn es um den Zusatz geht, kommen viele ins Grübeln. Wie kann man, angesichts der begrenzten Ressourcen auf unserem Planeten, ein gutes Leben für alle schaffen?
Es ist mittlerweile im Bewusstsein vieler Menschen angekommen ist, dass materielle Besitztümer oder die Möglichkeit, sich jederzeit alles kaufen zu können, nicht glücklich machen. Ich denke schon, dass es eine bestimmte Zufriedenheit und ein Gefühl von Sicherheit in existentiellen Lebensbereichen schafft. Aber Glück sollte man nicht im Materiellen suchen, sondern im Zwischenmenschlichen. Wenn die Einen auf sehr großem Fuß leben und mehr Ressourcen verbrauchen als der Planet hergibt und den Anderen dann gar nichts mehr bleibt, gibt es nie ein gutes Leben für alle. Wir brauchen definitiv eine globale Umverteilung und in Industrieländern die Erkenntnis, dass ständiges Wachstum sich nicht ausgeht. Irgendwann müssen wir mit dem auskommen, was da ist und das fair verteilen.
Bedeutet ein gutes Leben für alle also Verzicht?
Ja. Aber ich glaube Verzicht ist ein zu negativ besetztes Wort. Es geht um das Überwinden des Mangelgefühls, das viele haben. Es geht darum, sich frei zu machen von dem Druck, alles besitzen zu müssen. Es ist ein Trugschluss, dass Besitz Sicherheit bedeutet. Wenn man diese Angst überwindet, ohne Besitz nicht glücklich sein zu können, dann ist es ein Verzicht. Und zwar ein Verzicht auf Angst. Und das ist doch schön.
Sie haben eingangs gesagt, dass Sie sich immer wieder mit dem Thema gutes Leben für alle auseinandersetzen. Wie beeinflusst diese Vision Ihre politische Arbeit?
Sehr stark. Ich versuche die Entscheidungen, die ich treffen muss und darf, danach abzuklopfen, ob zumindest die Richtung stimmt. Wenn man, wie ich, in der Regierung Realpolitik machen darf, sind die Schritte oft sehr klein und man hat das Gefühl, der Weg zu globaler Gerechtigkeit ist wahnsinnig weit. Dem ist auch so, man kann nicht den Schalter umlegen und alles ist gut. Aber die Dinge, die ich beeinflussen und die Projekte, die ich vorantreiben kann, sollen für alle wirken. Da ich auch Klimaschutzlandesrätin bin, geht es in meiner Arbeit oft um globales und vernetztes Denken. Das beginnt schon bei alltäglichen Dingen wie Mobilität. Zum Beispiel der Versuch, durch einen leistbaren öffentlichen Verkehr, soziale und ökologische Gerechtigkeit zu ermöglichen. Dadurch werden Menschen mobil, sie können sich ohne Auto fortbewegen, was auch die Umwelt entlastet. Für mich ist wichtig, dass alle Menschen dieses Angebot nutzen können. Bei der Umsetzung solcher Maßnahmen denke ich daran, dass das ein kleiner Beitrag dazu sein kann, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.
Sie haben gerade ihre politische Arbeit in Tirol angesprochen. Fällt Ihnen ein gutes Beispiel in Tirol ein, wo Sie den Eindruck haben, es geht in die richtige Richtung, da könnte man weiter ansetzen?
Ja, da fällt mir etwas zum Thema globale Gerechtigkeit ein. Ich hatte letzte Woche ein schönes Erlebnis. Es gibt in Innsbruck seit 15 Jahren einen Studienlehrgang für Friedens- und Konfliktforschung und da durfte ich mich im vergangenen Jahr ein bisschen einbringen. Im Zuge dessen hatte ich Kontakt zu einem jungen Mann aus Nigeria, der aktiv gegen die Boko Haram kämpft und sein Wissen in Innsbruck erweitern wollte. Um ihn zu unterstützen haben wir unter anderem Geld gesammelt für den Flug. Dafür habe ich mich auch persönlich engagiert, nicht nur in meiner Rolle als Politikerin. Es ist ein kleiner Beitrag zur Weltverbesserung, wenn man für junge Menschen aus unterschiedlichen Ländern die Möglichkeit schaffen kann, dass sie sich austauschen, gegenseitig inspirieren, voneinander lernen und dann wieder dort hingehen lässt, wo sie für Gerechtigkeit und Frieden wirken möchten. Und ich finde es toll, wenn ich als Mitglied der Tiroler Landesregierung solche Projekte begleiten und unterstützen darf.
Vielen Dank für diesen globalen Blick. Sie als Politikerin können ihre Arbeit nach der Vision eines guten Lebens für alle ausrichten. Aber warum sollten sich Menschen auch als Privatpersonen für ein gutes Leben für alle einsetzen?
Weil es glücklich macht. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen durch ihr Engagement, durch die Unterstützung von anderen, durch das Mitwirken an Gerechtigkeit eine Intensität von Glück erfahren, das sich nicht kaufen lässt. Jeder, der sich schon einmal solidarisch verhalten hat, weiß, wie man dadurch beschenkt wird. Daher bin ich überzeugt, dass man sich auch privat für ein gutes Leben für alle einsetzen sollte.
Das Interview hat Nadine Mittempergher für die Grüne Bildungswerkstatt geführt.
Ingrid Felipe ist Landeshauptmann Stellvertreterin in Tirol und stellvertretende Bundessprecherin der Grünen.