Laia Ortiz: Die katalanische Debatte und das heutige Europa
Laia Ortiz im Interview mit Aoife O’Grady
Übersetzt von Carla Weinzierl
Die Voices of Europe-Serie bringt nationale und regionale Perspektiven bei Veranstaltungen in drei europäischen Städten zusammen. Diese Perspektiven unterscheiden sich natürlich von Land zu Land. Ist die Einigung aller Grüner Parteien auf eine gemeinsame Grüne Vision realistisch, oder überhaupt wünschenswert?
Wenn wir ein Grünes Projekt zur Transformation in Europa sein wollen, müssen wir zusammenkommen und gemeinsam an einer geeinten Vision arbeiten. Unsere Arbeit muss auf die Prinzipien fokussieren, die Europa bezüglich sozialer Kohäsion, Demokratie, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit leiten sollen. Zur Zeit ist das nicht gegeben und das bedeutet Schwierigkeiten für das Grüne Projekt, vor allem im südlichen Europa. Andererseits haben wir aber auch positive Schritte in Richtung dieser Grünen Vision gesetzt. Beim Frühjahrstreffen der europäischen Grünen Partei waren viele Menschen aus Deutschland, Österreich und den nordischen Ländern anwesend, und wir hatten die Möglichkeit, die Auswirkungen der Austeritätspolitik auf soziale Gerechtigkeit in Bezug auf öffentliche Dienstleistungen und Armut im südlichen Europa zu beleuchten. Ich denke, es war eine positive Veranstaltung. Wir mussten die Idee stärken, dass ein gemeinsames Bekämpfen der Krise in Südeuropa allen EuropäerInnen und ganz Europa nutzen wird.
Im Umgang mit den Problemen, denen wir heute gegenüber stehen, ist es für die Grünen weiters besonders wichtig, über die Realität zu sprechen, über Daten, darüber was tatsächlich passiert. Also nicht von den Klischees über verschiedene Staaten geleitet. Das wäre nicht europäisch und entgegen dem Grünen Projekt.
Beim Voices of Europe Kongress in Wien, forderte Ulrike Lunacek, Europaparlamentsabgeordnete, die TeilnehmerInnen dazu auf, die Idee von ‚Vereinigten Staaten Europas’ zu diskutieren. Das können kontroverse Begriffe sein. Wie ist die Einstellung zum Konzept USE (United States of Europe) in Katalonien?
Wir sind an einem Punkt, wo es keinen Mittelweg gibt. Entweder wählen wir ein föderales Europa, in dem wir Souveränität von den Staaten nehmen und einem tatsächlich europäischen Projekt übertragen, also über den gemeinsamen Markt hinausgehen in Richtung gemeinsames Budget, gemeinsame Fiskalpolitik, Sozialpolitiken und Standards. Oder wir zerstören die Europäische Union. So wie es jetzt ist, kommen mehr und mehr Menschen zu dem Schluss, dass die EU kein demokratisches Projekt mehr ist. Die EU wird als ungleiche Struktur empfunden, als Instrument der Märkte zur Implementierung neoliberaler Politiken. Wenn wir uns die Daten des südlichen Europas ansehen, zum Beispiel in Spanien, sehen wir, dass die Euroskepsis in den letzten fünf Jahren sehr schnell angestiegen ist. Die Spanierinnen und Spanier waren traditionell eines der am meisten pro-europäischen Völker in der EU. Die Menschen müssen erkennen, dass Europa ein Instrument für Gutes in ihrem Leben darstellt. Wenn sie dies nicht sehen, wird die Idee von Europa und der auf diesen Prinzipien basierende Föderalismus nicht überleben.
Katalonien sieht sich mit spezifischen Fragen bezüglich der Unabhängigkeitsdebatte konfrontiert. Wie bewerten KatalonierInnen die Rolle Europas in dieser Debatte?
In Katalonien wenden sich viele Menschen nach Europa in dieser regionalen Debatte. Wird es der EU möglich sein, die Forderung Kataloniens nach einer Volksbefragung zu hören? Aber wenn Menschen sehen, dass die EU entscheidend auf Nationalstaaten beruht, haben sie mehr Gründe Europa skeptisch gegenüberzustehen. Sie erkennen, dass die katalonische Debatte schlichtweg nicht in das derzeitige Europa passt, also ergibt sich ein weiterer Grund skeptisch zu sein. Zur Zeit denken die Menschen nicht an das Europaparlament, wenn sie an Europa denken, sondern an die Troika. Sie sehen, dass die Troika Politiken beschließt und Rechte und öffentliche Dienste zurückschraubt. Das sind die Eindrücke, die Menschen über Europa haben. Heute zum Beispiel steht in den Zeitungen, das Budget der zentralen Regierung Spaniens wird über die nächsten zwei Jahre um acht Milliarden gekürzt.
Die Einstellung der BürgerInnen gegenüber Europa ist durch die Bilder, die von nationalen Regierungen gezeichnet werden, beeinflusst. Welche Bilder zeichnen die spanischen und katalonischen Regierungen? Beschuldigen sie Europa?
Sie beschuldigen Europa nicht, weil die meisten der Regierungsparteien innerhalb der EU von der gleichen Familie stammen – den Konservativen. Die spanischen und katalanischen Regierungsvertreter sind liberal oder konservativ, also teilen sie diese Idee der Austerität. Andererseits verwenden sie Europa jedoch, um sich selbst von ihrer Rechenschaftspflicht zu befreien. Sie sagen‚ Europa sagt dies, Europa sagt jenes, und wir, die spanische Regierung, sind sehr eingeschränkt.’ Sie schieben keine Schuld auf Europa, aber benutzen es als Entschuldigung. Das ist das Problem des Systems – die katalanische Regierung sagt, die Entscheidungen fallen in Madrid, die spanische Regierung sagt sie fallen in Brüssel. Wenn man sich auf der Straße umhört, heißt es, Merkel entscheide. In diesem Fall gibt es also wirklich kein Europa, es gibt gar nichts.
Was wird die größte Herausforderung für die Grünen bei den Europawahlen?
Als erstes müssen wir versuchen, die Menschen in den Prozess zu involvieren. Das wird eine schwierige Aufgabe, weil viele Menschen vom politischen System und der EU verärgert sind. Wir müssen ein starkes Programm gegen das derzeitige EU Projekt erstellen, also gegen Schuldenpolitik, Austerität etc. und eine Alternative für die Transformation Europas in Richtung demokratischer, sozialer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit anbieten. Wir müssen eine Verbindung zu den Bedürfnissen der BürgerInnen herstellen. Wir müssen daran denken, dass in Spanien mehr als 10 Millionen Menschen in Armut leben und es beinahe ein humanitäres Problem im Süden gibt. Wir müssen über diese Dinge sprechen und klarstellen, dass die Grüne Partei diesen Problemen entgegentritt.
Bei den österreichischen Wahlen haben wir einen besorgniserregenden Anstieg in der Unterstützung rechter Parteien verzeichnet. Generell sehen wir diesen Anstieg in ganz Europa. Wie sieht es in Katalonien aus?
Wir haben keine rechtsextremen Parteien im Parlament, da die konservative Volkspartei einige dieser Stimmen hat. De facto haben wir eine der schlimmsten rechten Regierungsparteien innerhalb der EU. Zusätzlich steigt der Faschismus auf den Straßen. In Katalonien haben wir eine rassistische Partei, die faschistische Ideen verteidigt und in lokalen Regierungen Räte besetzt.
Voices of Europe – das Projekt
Als Teil der ‘Voices of Europe: Auf der Suche nach einer gemeinsamen Perspektive’ wurden zwei ähnliche Veranstaltungen in Wien (Juni 2013, Ulrike Lunacek im Interview) und Budapest (Oktober 2013, englischer Bericht) organisiert. Das Projekt ist aus der Kooperation der Europäischen Grünen Stiftung (Green European Foundation) mit nationalen Grünen Stiftungen in Spanien (Fundacio Nous Horitzons), Ungarn (Ecopolis Stiftung) und Österreich (Grüne Bildungswerkstatt) entstanden.
Lesen Sie hier einen umfangreichen Bericht über die Veranstaltung in Barcelona auf Englisch.