Peter Heintel - Der Sinn der Arbeit - gestern, heute, morgen
In dem „Moment“, in dem wir diese Verbundenheit verlassen, also zu Menschen werden, müssen wir für unser Überleben sorgen, d. h. arbeiten. Arbeiten heißt hier also bestraft werden, dafür, dass wir trotz Verbotes vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Die Menschen wurden sesshaft, schufen Stadtstaaten, sogar „Reiche“, es entstand eine arbeitsteilig werdende Gesellschaft.
Arbeit differenziert sich: Immer noch blieb die Mühsal, die Auseinandersetzung mit der Natur (Ackerbau, Viehzucht, Herstellen von Werkzeug), hinzu kam aber jene Tätigkeit, die für den Zusammenhalt sorgt, das „größere Ganze“ im Auge hat, für das „Geistig-Religiöse“ zuständig ist.
Die Aufwertung dieser „höheren“ Tätigkeit führte zu einer Abwertung der „niedrigeren“. Diese war Sklavenarbeit, Leibeigenentätigkeit. Die höhere dagegen konnte man in diesem Sinn gar nicht als Arbeit bezeichnen, sie war aber die „eigentliche“ Tätigkeit des Menschen, die ihn erst zum Menschen macht. Muße zu haben, nachzudenken, Theorien zu bilden, über Staatsformen zu diskutieren – das machte das Leben lebenswert, für das Überleben sollten Sklaven sorgen, von denen man hoffentlich genug hatte.
An dieser Zweiteilung unserer Tätigkeit ändert sich bis zum Beginn der Neuzeit wenig. Arbeit, so wie wir sie auch heute noch verstehen, wird eher als Plage, als notwendiges Übel betrachtet, das immer noch viele Menschen über Gebühr beansprucht.

Neuzeit und Bürgertum – Selbstverwirklichung durch Arbeit
In der neuzeitlichen, allmählich durch das Bürgertum bestimmten Gesellschaft, ändert sich der Arbeitsbegriff radikal. Im Unterschied zum „Nährstand“, den Landwirten, die sich in einer unaufhebbaren Abhängigkeit von der Natur befinden, begreift sich das Bürgertum in erster Linie als herstellender und handelnder Stand.
Manufakturen, dann industrielle Betriebe organisieren einen neuen Arbeitsprozess. Im Gefolge dessen bekommt auch die Arbeit eine neue Bedeutung.
Aus der früheren Plage wird Selbstverwirklichung. In der Arbeit verwirklicht der Mensch nun sein Wesen, er braucht sie, um zu sich, seinem Selbst, seiner Freiheit zu kommen. Ohne Arbeit geht er sich selbst verloren, mit ihr kann er sich entfalten, seine Fähigkeiten entwickeln, durch sie erfährt er, wer er ist.
Auch wenn gelingendes Tätig-Sein und Schaffen durchaus diese positive Bewertung von Arbeit rechtfertigen kann: Wir leiden noch heute unter dieser ideologischen Überhöhung und der Miss-achtung negativer Seiten. Von Beginn an gab es nämlich Arbeit, die keineswegs etwas zur Selbstverwirklichung beitrug. In den Manufakturen wurden der einzelne Arbeiter und die einzelne Arbeiterin geschaffen. Ihrer Selbstverwirklichung entgegengesetzt war lange Zeit die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und die Zerlegung des Arbeitsvorganges.
Erst im politischen Widerstand gegen ihre Ausbeutung beginnen die Arbeiter-Innen ihre Macht zu erkennen und erleben ihre Selbstverwirklichung in ihrer politischen Solidarität. Ihr „Selbstbewusstsein“ können sie freilich auch aus ihrer produktiven Tätigkeit beziehen und insofern bleibt trotz aller Unterdrückung und Ausbeutung die Arbeit selbst nicht nur negativ besetzt. Im Jahrhundertkampf zwischen Kapital und Arbeit war ersteres zu Konzessionen gezwungen, die allmählich aus den klassischen Ar-beiterInnen „KleinbürgerInnen“ machten, die mit Recht meinten, ihren Aufstieg ihrer Arbeitsleistung zu verdanken.

Die Digitalisierung
Mit der Digitalisierung, der Industrie 4.0, dem Einsatz von Robotern beginnt ein neues Kapitel. Auch wenn zunächst ge-trieben vom ökonomischen Nutzen, wird dieser in Zukunft nicht mehr im Vordergrund stehen. Vielmehr verändert sich der traditionelle Charakter von Arbeit. Maschinen übernehmen das, was bisher menschlicher Arbeitskraft entsprungen ist, und sie können es besser, wie man uns versichert, sind fehlerfrei, an keine Arbeitszeit und Tarifverträge gebunden.
Wir können uns über eine gewaltige Entlastung freuen: Die „niedere“, aber auch schon „höhere“ Arbeit verrichten Maschinen ohne unser Zutun.
Wenn aber die Anzahl der Lohnarbeiter-Innen immer weiter sinkt, stellt sich die Frage, wie der Staat seine Steuern lukriert, zumal er immer mehr Beiträge für die Arbeitslosenversicherung zahlen muss; deshalb wird auch immer heftiger um eine Steuer gestritten, die man den Maschinen, ihrer Produktion und den damit verbundenen Gewinnen auferlegen will.
In all diesen Zusammenhängen deutet sich eine Entwertung traditioneller Erwerbsarbeit und ihrer Bedeutung an, andere semantische Besetzungen treten auf. Ist Arbeit wirklich so positiv einzuschätzen, wie es uns die bürgerliche Gesellschaft einzureden versucht hat?
Es ist hier hilfreich, die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen zu verfolgen. Die kritischen Argumente, die es als eine „verrückte“ Utopie darstellen, kommen allesamt aus der „alten“ Arbeitswelt und ihrer Ideologie. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, wer nichts „leistet“, kein Geld bekommen und im Übrigen: „Wer wird dann überhaupt noch arbeiten?“
Ob nun die Arbeitslosigkeit steigen wird oder nicht – es gibt viele Gründe, das zu vermuten – man wird sich jedenfalls andere Bedeutungen von Arbeit und Nicht-Arbeit überlegen müssen. Eigentlich, so könnte man sagen, ohne zynisch zu werden, hat die ganze Menschheitsgeschichte an der Überwindung von Arbeit gearbeitet. Was ist, wenn man es wagt, den Spieß umzudrehen und die Arbeitslosigkeit als Geschenk aller unserer Vorfahren betrachtet, wenn sie uns Sinnbereiche menschlicher Lebens-erfüllung entdecken lässt, die bisher in unserer „Arbeitsgesellschaft“ nicht zu Wort gekommen sind?
Befreit man Arbeit von ihrem historischen Korsett, eröffnet man sich Tätigkeiten, die bisher nur am Rande der Gesellschaft wahrgenommen werden konnten. Diese Arbeit wird den Menschen wohl nie ausgehen. Und um noch einmal auf das bedingungslose Grundeinkommen zurückzukommen: Was aus einer Gesellschaft werden kann, die von unmittelbarer und indirekt drohender Existenzangst befreit ist, können wir noch gar nicht absehen. Es gab eine solche in der Geschichte noch nie. Was uns aber jedenfalls gut täte, wäre eine Unterbrechung, ein zeitliches Moratorium, das dadurch erreichbar wäre; ein kollektives Nachdenken, auf welchem Weg wir uns in unserer Geschichte befinden.
Die Digitalisierung
Mit der Digitalisierung, der Industrie 4.0, dem Einsatz von Robotern beginnt ein neues Kapitel. Auch wenn zunächst ge-trieben vom ökonomischen Nutzen, wird dieser in Zukunft nicht mehr im Vordergrund stehen. Vielmehr verändert sich der traditionelle Charakter von Arbeit. Maschinen übernehmen das, was bisher menschlicher Arbeitskraft entsprungen ist, und sie können es besser, wie man uns versichert, sind fehlerfrei, an keine Arbeitszeit und Tarifverträge gebunden.
Wir können uns über eine gewaltige Entlastung freuen: Die „niedere“, aber auch schon „höhere“ Arbeit verrichten Maschinen ohne unser Zutun.
Wenn aber die Anzahl der Lohnarbeiter-Innen immer weiter sinkt, stellt sich die Frage, wie der Staat seine Steuern lukriert, zumal er immer mehr Beiträge für die Arbeitslosenversicherung zahlen muss; deshalb wird auch immer heftiger um eine Steuer gestritten, die man den Maschinen, ihrer Produktion und den damit verbundenen Gewinnen auferlegen will.
In all diesen Zusammenhängen deutet sich eine Entwertung traditioneller Erwerbsarbeit und ihrer Bedeutung an, andere semantische Besetzungen treten auf. Ist Arbeit wirklich so positiv einzuschätzen, wie es uns die bürgerliche Gesellschaft einzureden versucht hat?
Es ist hier hilfreich, die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen zu verfolgen. Die kritischen Argumente, die es als eine „verrückte“ Utopie darstellen, kommen allesamt aus der „alten“ Arbeitswelt und ihrer Ideologie. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, wer nichts „leistet“, kein Geld bekommen und im Übrigen: „Wer wird dann überhaupt noch arbeiten?“
Ob nun die Arbeitslosigkeit steigen wird oder nicht – es gibt viele Gründe, das zu vermuten – man wird sich jedenfalls andere Bedeutungen von Arbeit und Nicht-Arbeit überlegen müssen. Eigentlich, so könnte man sagen, ohne zynisch zu werden, hat die ganze Menschheitsgeschichte an der Überwindung von Arbeit gearbeitet. Was ist, wenn man es wagt, den Spieß umzudrehen und die Arbeitslosigkeit als Geschenk aller unserer Vorfahren betrachtet, wenn sie uns Sinnbereiche menschlicher Lebens-erfüllung entdecken lässt, die bisher in unserer „Arbeitsgesellschaft“ nicht zu Wort gekommen sind?
Befreit man Arbeit von ihrem historischen Korsett, eröffnet man sich Tätigkeiten, die bisher nur am Rande der Gesellschaft wahrgenommen werden konnten. Diese Arbeit wird den Menschen wohl nie ausgehen. Und um noch einmal auf das bedingungslose Grundeinkommen zurückzukommen: Was aus einer Gesellschaft werden kann, die von unmittelbarer und indirekt drohender Existenzangst befreit ist, können wir noch gar nicht absehen. Es gab eine solche in der Geschichte noch nie. Was uns aber jedenfalls gut täte, wäre eine Unterbrechung, ein zeitliches Moratorium, das dadurch erreichbar wäre; ein kollektives Nachdenken, auf welchem Weg wir uns in unserer Geschichte befinden.
Peter Heintel ist emeritierter Professor für Philosophie und Gruppendynamik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.