Acht Thesen zur Aktualität von Robert Jungk
Zum Jubiläum erschien das Buch

Wie aktuell Jungks Arbeit auch heute noch ist, verdeutlichen 8 Thesen am Ende des Buches:
These 1: Die Demokratisierung der Zukunft
Die Zukunft darf nicht allein den Experten überlassen werden. Jede und jeder ist in der Lage, die Zukunft gemeinsam mit anderen eigenverantwortlich mitzugestalten.
Einschätzung: Der steigende Komplexitätsdruck führt zu Ohnmachtserfahrungen. Die Demokratisierung der Zukunft ist nur möglich mit einer Reduktion von Komplexität und einer Dezentralisierung, wie die aktuellen Finanzkrisen zeigen.
These 2: Atomenergie als Fluch für die Menschheit
Die militärische wie zivile Nutzung der Atomenergie ist ein Fluch für die Menschheit. Ziel der Friedens- und Anti-Atombewegung muss es sein, nicht nur die Atomwaffen, sondern auch die Atomwerke abzuschaffen.
Einschätzung: Die Proteste gegen Atomrüstung und gegen die Atomenergienutzung waren zumindest teilweise erfolgreich. Das atomare Wettrüsten wurde überwunden, immer mehr Länder verzichten auf Atomkraft. Doch die Gefahren aus beiden bleiben bestehen, Widerstand und Wachsamkeit sind weiterhin nötig.
These 3: Der Einsatz für menschenfreundliche Technologien
Nicht jede neue Technologie ist ein Fortschritt. Das gilt neben der Atomenergie auch für die Gentechnologie, die zunehmende Automatisierung der Produktionsprozesse und die Verwendung von Computern.
Einschätzung: Mehrheitlich bestimmen weiterhin Großtechnologien und Großkapital die Zukunft. Doch die Fortschrittsgläubigkeit und der Machbarkeitswahn haben aufgrund sich mehrender Krisen an Glaubwürdigkeit verloren. Sanfte Technologien wie Solar- und Windenergie gewinnen an Bedeutung. Die neuen Informationstechnologien werden heute freilich auch von sozialen Bewegungen genutzt.
These 4: Wissenschaft im Dienste des Gemeinwohls
Aufgrund der engen Verflechtungen von Wissenschaft und Wirtschaft hat der Wissenschaftsbetrieb seine Unabhängigkeit verloren. Forschungsprojekte werden lanciert, um weitere Mittel zu erlangen, unabhängig von ihrer Sinnhaftigkeit. Nur eine wachsame Öffentlichkeit sowie Kritiker aus den eigenen Reihen, sogenannte Dissidenten oder „Wisthle Blowers“, können dem entgegenwirken.
Einschätzung: Robert Jungk hat durch sein Wirken wesentlich dazu beigetragen, dass wissenschaftliche Erfindungen öffentlich diskutiert werden und einem stärkeren Legitimationsdruck unterliegen. Dennoch sind wir von einer Transparenz hinsichtlich Forschungsmittel weit entfernt. So werden etwa nach wie vor bedeutend mehr Mittel in militärische Forschung oder in die Kernfusion gesteckt als in erneuerbare Energien.
These 5: Soziale Erfindungen als Zukunftschance
Nicht primär technologische, sondern soziale Erfindungen führen in eine humane Gesellschaft. Neue Formen des familiären und gesellschaftlichen Miteinanders, des gemeinschaftlichen Wohnens und Arbeitens, des kooperativen Lehrens und Lernens sollen erprobt und verbreitet werden.
Einschätzung: Bewegungen wie Biologischer Landbau, Gemeinwohlökonomie oder Fairer Handel, Initiativen wie Ökosiedlungen oder genossenschaftliche Energieerzeugung haben an Bedeutung gewonnen. Doch noch handelt es sich um Nischenakteure. Im Sinne nachhaltiger Entwicklung steht jedoch eine breite Umsetzung an.
These 6: Krise der parlamentarischen Demokratie
Die parlamentarische Demokratie allein ist nicht mehr in der Lage, die Gefahren möglicher Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und Kurskorrekturen in die Wege zu leiten. Die sozialen Bewegungen, die Bürgerinitiativen und die Zivilgesellschaft müssen als neue politische Kraft Veränderungen anstoßen.
Einschätzung: Die Demokratie ist in der Tat in der Krise. Ihre Robustheit in den Wohlstandsländern muss sich in den bevorstehenden ökonomischen Schrumpfungsprozessen erst beweisen. Die Zivilgesellschaft ist jedoch zu einem belebenden Element der Demokratie geworden. Würde Jungk heute noch leben, wäre er wohl in Bewegungen für eine faire Weltwirtschafts- und Finanzordnung wie Attac oder Occupy Wall Street engagiert.
These 7: Kreativität und Kunst als Werkzeuge der Zukunftsgestaltung
Kunstschaffende sind Seismografen für gesellschaftliche Fehlentwicklungen und können Wegbereiter für neue Zukunftslösungen werden. Das bei Kindern vielfach noch erkenn- und greifbare Potenzial ist jedoch im Grunde in jedem Menschen vorhanden und soll geweckt werden.
Einschätzung: Es gibt auch heute engagierte Künstlerinnen und Künstler, die sich im Sinne Jungks für humane Lebensbedingungen einsetzen. Die Ausrichtung der Bildungssysteme, der Arbeitswelt sowie der Unterhaltungsindustrie zerstören jedoch vielfach die von Jungk hervorgehobene Kreativität, die in und allen steckt. Das Spielerische droht verloren zu gehen.
These 8: Kulturelle Erneuerung der Wohlstandsdemokratie
Bewegungen für einen einfachen Lebensstil jenseits des Konsumismus werden zu einer kulturellen Erneuerung der Wohlstandsdemokratien führen. Lebenskulturen der Einfachheit des Südens werden Einfluss auf den Norden nehmen.
Einschätzungen: Es gibt diese Bewegungen – etwa „Buen Vivir“ in Lateinamerika oder die Postwachstumsinitiativen in Europa und den USA. Die Mehrheit in der Bevölkerung, Wirtschaft und Politik setzt aber auf weiteres Konsumwachstum, das mittlerweile auch zum großen Vorbild in den Ländern des Südens geworden ist. Die Neuansätze können jedoch zu Inseln des Übergangs in eine nachhaltige Gesellschaft werden.
Aus: Holzinger, Hans (2013): Sonne statt Atom. Robert Jungk und die Debatten über die Zukunft der Energieversorgung seit den 1950er-Jahren bis heute. Salzburg: JBZ-Verlag; S.124&125