Gender, Macht, Frieden
Nachhaltige Veränderungen zu mehr Gerechtigkeit und weniger Gewalt ist jedoch nur dann möglich, wenn die gesellschaftsstrukturierende Bedeutung von Geschlecht mitgedacht wird. Deshalb sind die Teilhabe von Frauen vor, in und nach Konflikten in Friedensprozessen und -operationen, die Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt gegenüber Frauen und Männern sowie deren psychosoziale, gesundheitliche und juristische Betreuung entscheidend für einen dauerhaften Frieden. Ebenso wichtig ist die systematische Berücksichtigung von Gender in Demobilisierungs- und Reintegrationsprogrammen.
Frauen, Männer, Mädchen und Jungen sind auf unterschiedliche Art und Weise von bewaffneten Konflikten betroffen. Daher sind auch ihre Erfahrungen und Beiträge in der Zeit während und nach einem Konflikt, in den Phasen des Peacekeeping, des Peacebuilding, der Übergangsjustiz und des Wiederaufbaus unterschiedlich. Dasselbe gilt auch für die Zeit vor einem Konflikt. Demzufolge hat jeder Prozess der Friedenskonsolidierung eine Genderdimension – unabhängig davon, ob diese bewusst integriert wurde oder nicht.
Die Rolle des UN Sicherheitsrates bei der Integration von Genderperspektiven
Ein Bewusstsein für die Bedeutung der Geschlechterrollen in der Konfliktanalyse und -bearbeitung sowie deren Bedeutung in der Sicherheits- und Friedenspolitik war lange praktisch nicht vorhanden. Es stieg erst dank der jahrelangen Arbeit vieler Frauenorganisationen und führte schließlich zur Verabschiedung der Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mit dem Titel „Frauen, Frieden und Sicherheit“ im Oktober 2000. Alle UN-Sicherheitsratsmitglieder stellten sich mit dem Beschluss dieser Resolution erstmals einstimmig hinter die wichtige Erkenntnis, dass Konflikte nur dann vermieden und überwunden werden können, wenn alle Beteiligten – Männer und Frauen gleichermaßen fair und gleichberechtigt – zusammenarbeiten. Obwohl diese Resolution somit die Qualität von Friedens- und Sicherheitspolitik neu definierte und einen Meilenstein für eine weltweite geschlechtergerechte Friedenspolitik darstellt, gibt es bis heute noch viel zu wenige Fortschritte bei der Umsetzung der darin und in den Folgeresolutionen enthaltenen Maßnahmen.
Teilnahme von Frauen in und nach Friedensverhandlungen
Laut einer UN-WOMEN Studie aus dem Jahr 2012 waren in 31 Friedensprozessen zwischen 1992 und 2011 nur neun Prozent der VerhandlerInnen weiblich. 2,4 Prozent war der Frauenanteil bei VermittlerInnen, und nur vier Prozent der Unterzeichnenden waren Frauen. Und das, obwohl Frauen weltweit wesentlich zur Aussöhnung von Konfliktparteien und zum Wiederaufbau in Nachkriegsgesellschaften beitragen. Diese Friedensarbeit findet jedoch meist nur auf lokaler Ebene statt und wird sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene kaum anerkannt. Es gibt jedoch Erfolgsbeispiele wie in Uganda, Darfur (Abuja), Burundi, der DR Kongo oder Liberia, wo es Repräsentantinnen von Frauenorganisationen etwa gelang, sich durch das sogenannte „Korridorlobbying“ Zugang zu den Friedensverhandlern zu verschaffen (Accra Konferenz zu Liberia 1994).
Während der Genfer Friedensverhandlungen III im Februar 2016 beriet ein „Women’s Advisory Board“ den UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura. Direkt an den Verhandlungen nahm dieser Rat jedoch nicht teil. Man kann hier also noch nicht von einer angemessenen, aktiven Einbeziehung von Frauen in Friedensverhandlungen und -übereinkünfte sprechen. Es gibt bis dato noch wenige Erfolgsbeispiele, wo die Teilnahme von Frauen in der Implementierung und dem Monitoring der Friedensabkommen sowie eine Stärkung lokaler Frauenorganisationen gelungen ist. Diese sind jedoch dringend nötig, um Lösungsstrategien für alle Beteiligten einer Gesellschaft entwickeln zu können.
Effektivitätssteigerung durch Einbeziehung beider Geschlechter in Friedensoperationen
NATO-Untersuchungen (Osson/Tejpar 2009) legten dar, dass NATO Provincial Reconstruction Teams (PRTs) durch einen höheren Frauenanteil und gendersensitives Handeln ihre Effektivität in der Durchführung ihrer Aufgaben steigern konnten. Doch gerade im Militär- und Polizeisektor und auch bei den entsprechenden Einheiten der UN, EU, NATO, oder OSZE wird die Gender-Thematik noch immer als etwas wahrgenommen, das „nur“ Frauen betrifft.
Doch ist für eine erfolgreiche Friedenspolitik auch die Beachtung der Männerrollen und damit unter Umständen die Veränderung von Männlichkeitskonzepten von Bedeutung. Auch hier besteht noch großer Handlungsbedarf.
Schutz vor (sexualisierter) Gewalt im Kriegskontext
Bisher sind Verurteilungen wegen sexueller Gewalt sehr spärlich. Auch diese erwartbare Straflosigkeit führt dazu, dass sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten gezielt und systematisch als Waffe eingesetzt wird. Hier greifen auch UNSCRs (Resolutionen des UN-Sicherheitsrates) nicht, die Maßnahmen zur Bekämpfung sexueller Gewalt beinhalten – auch weil diese über kein Mandat für Sanktionen verfügen. Doch nicht nur unter den Konfliktparteien, sondern auch unter den Mitgliedern der UN-Friedensmissionen, der Blauhelme, gibt es einen besorgniserregenden Anstieg sexueller Gewalt. Im März 2016 gab es dazu erstmals eine UNSCR, die den UN-Generalsekretär befähigt, bei dementsprechender Beweislage die gesamte Blauhelmtruppe nach Hause zu schicken. Das war bis dato nur durch die Mitgliedstaaten selbst möglich. Leider beinhaltet die Resolution keine konkrete Forderung, die Täter auch juristisch zur Verantwortung zu ziehen.
Unterdrückung von Frauen in Friedenszeiten
Die Unterdrückung von Frauen hat auch in Friedenszeiten eine destabilisierende Wirkung auf Gesellschaften. Das Beispiel der selektiven Abtreibung weiblicher Föten, das nicht nur in China und Indien, sondern auch in Europa immer mehr zunimmt, zeigt, welche fatalen Folgen Maßnahmen zur Unterdrückung von Mädchen und Frauen haben. Allein in China werden im Jahr 2020 30 bis 40 Millionen Frauen im Alter zwischen 10 und 29 Jahren fehlen.
Der Einsatz für Gleichberechtigung und für eine angemessene Teilhabe an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen ist auch in Hinblick auf Frieden und Sicherheit eines der größten und wichtigsten Projekte unserer Zeit. Es notwendig, Frauen in Zeiten des Friedens genauso wie in bewaffneten Konflikten in ihrer positiven Rolle als Friedensakteurinnen zu stärken.
Claudia Stadler ist grüne Referentin für Außen- und Entwicklungspolitik im österreichischen Parlament.