Georg Maißer - Wen wählen Roboter? Politische Teilhabe in einer lohnarbeitslosen Gesellschaft
Es locken Unabhängigkeit, mehr Freizeit und Lebensqualität sowie die Vorstellung der Selbstverwirklichung mit eigenen Projekten oder in der Beschäftigung mit Freunden und Familie. Das Grundeinkommen wird von einer steigenden Zahl von AnhängerInnen als der entscheidende Hebel angesehen, um unsere Gesellschaften nachhaltig zum Besseren zu verändern, hin zu einem guten Leben für alle.
Mit der überfälligen Trennung von Lohnarbeit und Lebenssinn könnten die Menschen dank Roboterarbeit endlich Lebensziele jenseits der Existenz-sicherung verwirklichen.
Während KritikerInnen des Grundeinkommens das Schreckensbild einer verwahrlosenden Hartz IV-EmpfängerInnengesellschaft entwerfen, stellen dem die BefürworterInnen die Beispiele von gar nicht depressiven ErbInnen, Privatiers oder aktiven und ehrenamtlich engagierten PensionistInnen entgegen. Die Ursachen für Apathie und Resignation lägen in mangelnden Ressourcen und gesellschaftlicher Ächtung der heute Arbeitslosen. Beides wäre bei einem (ausreichend hohen) bedingungslosen Grundeinkommen nicht zu befürchten.
Letztlich fehlen sowohl den BefürworterInnen wie den GegnerInnen verlässliche Daten und das umso mehr, als die Höhe eines eventuellen Grundeinkommens sehr unterschiedliche Anreize bzw. materielle Freiheiten darstellt und unterschiedlich viele Menschen in ihren Entscheidungen beeinflussen würde.
Doch geht es bei Silicon Valleys Flirt mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nicht um Humanismus. Googles Vorstandsvorsitzender Eric Schmidt bringt es in Davos mit seiner Warnung, dass die Automatisierung nicht nur ungelernte und manuell arbeitende Menschen, sondern weite Teile der heutigen Mittelschicht betreffen wird, auf den Punkt: Die Stabilität unserer Gesellschaft und die grundlegende Funktion unseres Wirtschaftssystems werden bedroht.
Wir sollten daher das bedingungslose Grundeinkommen nicht nur als Angebot, sondern als Notmaßnahme betrachten. Weite Teile der Bevölkerung werden demnach aus dem Arbeitsprozess gedrängt und müssen durch das Grundeinkommen politisch ruhig gehalten werden.
Damit geht es aber nicht mehr um die individuellen psychologischen Folgen für die BezieherInnen des Grundeinkommens. Unsere Gesellschaft als Ganzes könnte durch die vierte industrielle Revolution – und in der Folge die Übernahme der Warenproduktion und vieler Dienstleistungen durch Roboter und künstliche Intelligenz – eine heute noch völlig unabsehbare Transformation erfahren und unser demokratisches System einer schweren Prüfung unterzogen werden. Folgende Punkte müssen daher beachtet werden:
Politische Mitbestimmung nur durch unverzichtbaren Beitrag
„Alle Räder stehen still. Wenn Dein starker Arm es will“ war das zentrale Argument der ArbeiterInnenbewegung. Politische Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung ist möglich und wird es auch in Zukunft bleiben: AusländerInnen, ArbeiterInnen in Entwicklungsländern und allgemein Bevölkerungsgruppen ohne politische Lobby werden heute ganz selbstverständlich bei politischen Entscheidungen ignoriert. Eine entsolidarisierte Bevölkerung, die sich für die Eliten verzichtbar oder austauschbar macht, geht das sehr reale Risiko ein, das Recht auf Mitbestimmung zu verlieren.
Wer zahlt schafft an
Die tief verwurzelte Regel „Wer zahlt schafft an“ erlaubt es heute schon Konzernen, sich den für alle anderen geltenden Steuergesetzen, dem Strafrecht, dem Umweltschutz und dem Datenschutz zu entziehen. „Wenn Du nicht zufrieden damit bist, nutze es nicht“, hören die KritikerInnen von Amazon, Apple, Facebook & Co pausenlos von einer uninformierten Bevölkerung und gekauften Medien, die nicht bedenken, dass das Argument der Aufforderung gleicht, zum Schutz vor Vergewaltigung das Haus nicht mehr zu verlassen. Verzicht auf Teilnahme am öffentlichen Leben darf nicht die Alternative zu demokratischer Kontrolle und Durchsetzung des Rechtsstaates sein. In einer von Robotern bevölkerten und von künstlicher Intelligenz pausenlos beobachteten und interpretierten Welt wird der Vollzug der Gesetze noch schwieriger und gleichzeitig noch dringlicher.
Entscheidungen über das Leben werden weiter privatisiert
Bei immer weiterer Verbreitung von Robotern und künstlicher Intelligenz werden wenige Konzerne wesentliche Entscheidungen über das Leben der Menschen treffen: Was kann und akzeptiert ein Roboter und was nicht? Welches menschliche (Fehl-)Verhalten korrigiert er? Die vielen Kameras und Sensoren werden pausenlos und rund um die Uhr Daten aufzeichnen, der genaue Umgang damit wird sich demokratischer und staatlicher Kontrolle entziehen und in den Tiefen undurchschaubarer Closed Source Algorithmen verschlossen bleiben. Die ProduzentInnen der Roboter erhalten so immer mehr demokratisch nicht legitimierte Macht über das Privatleben der Bevölkerung, massiver Missbrauch ist immer schon „part of the game“.
Kein Weg zurück
Sind erst einmal weite Teile der Bevölkerung vom Arbeits- und Produktionsprozess ausgeschlossen, ist ein Weg zurück nur schwer vorstellbar. Die Abhängigkeit eines großen Teils der Bevölkerung wird total sein. Die Erpressbarkeit und Käuflichkeit durch das Versprechen einer höheren Grundsicherung oder aber der Drohung einer Kürzung wird realistischerweise die demokratischen Auseinandersetzungen bestimmen. In der Abhängigkeit von Geldleistungen wird es schwer, die Prozesse der Solidarisierung der historischen ArbeiterInnenbewegung zu wiederholen.
Vor diesem Hintergrund sollten wir die Warnung vor einer Konzentration unseres politischen Kampfes auf die Durchsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens ernst nehmen. Eine solidarische Gesellschaft mit erstklassigen öffentlichen Schulen und Universitäten, funktionierendem öffentlichen Verkehr, von allen sozialen Schichten gleichermaßen genutzten Freizeiteinrichtungen, Natur und kulturellen Orten, wo einander alle Menschen begegnen können, ist die notwendige Basis unseres demokratischen Systems. Nur diese Solidarität kann uns vor dem Missbrauch einer technologischen Entwicklung schützen, die wir nicht aufhalten können (und wollen). Sinnvoller und gut bezahlter Beschäftigung abseits der Warenproduktion und abseits von computerisierbarer und robotisierbarer Dienstleistungen muss rechtzeitig gesellschaftliche Wertschätzung zukommen, egal ob durch Aufwertung von Freiwilligenarbeit oder aber durch die Einbeziehung in den klassischen Arbeitsmarkt.
Welche Rolle das bedingungslose Grundeinkommen in der politischen Auseinandersetzung spielen und wie es eventuell finanziert werden wird, ist aus heutiger Sicht noch unklar. Es könnte einerseits die Verdrängung der Bevölkerung aus dem Arbeitsprozess beschleunigen und das Entstehen einer abgehobenen Milliardärsaristokratie ermöglichen, die mit Brot und Spielen ihre Macht ausbaut und zementiert. Oder aber es könnte tatsächlich der Schritt zur Schaffung eines neuen, inklusiven, demokratischen und solidarischen Athens sein, in dem Roboter die Rolle der Sklaven übernehmen und es zu einer ganz neuen Form von Politisierung und Demokratisierung durch die Befreiung von der Lohnarbeit kommt.
Unser Engagement heute wird darüber entscheiden, welche dieser Visionen in welchem Ausmaß Wirklichkeit werden wird.
Georg Maißer leitet die Medienarbeit der Grünen Bildungswerkstatt.