Gregor Rainer - Wie liberal ist links bei den Grünen?
Sind die Grünen links? Sie sind das, weil sie eine gerechte und solidarische Gesellschaft anstreben, in der die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Reichtum möglich sein muss. Sind die Grünen liberal? Auch das sind sie, in dem Sinn, dass sie immer schon autoritäre Gesellschaftsmodelle entschieden abgelehnt haben und Demokratie, die Selbstbestimmung und Selbstermächtigung der Menschen für sie wichtige Werte sind. Was aber heißt das im Zeitalter des zunehmenden Rechtspopulismus? Ist eine linke oder ist eine liberale Positionierung die bessere Antwort auf die nationalistische Rechte? Ist Linkspopulismus die richtige Antwort?
Zurzeit beschreiben etliche Autoren, wie und warum ehemals links wählende Menschen zu den Rechtspopulisten wechseln. Das hat mit der zunehmenden Aushöhlung, dem schleichenden Abbau des Sozialstaats zu tun. Es hat auch mit zunehmendem Wettbewerbsdruck zu tun, der aus der neoliberalen Globalisierung entsteht, und der in der Arbeitswelt unmittelbar spürbar ist. Und es hat mit der neoliberalen Wettbewerbskultur zu tun. Verkürzt und etwas zugespitzt geht die Geschichte so: Menschen, die an die Versprechungen der neoliberalen Wettbewerbslogik geglaubt haben, an das Leistungsprinzip, die also daran geglaubt haben, dass, wer sich anstrengt und fleißig arbeitet auch belohnt wird, diese Menschen, erleben in den letzten Jahrzehnten, dass die Reallöhne eher zurück gehen, Arbeitsplätze umstrittener werden, Working-Poor und Prekariat zunehmen, dass mit der Finanzmarktkrise und der Bankenrettung die Finanzierung des Sozialsystem zum Problem wird. Sie erleben, wie Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlagert werden. Sie erleben etwa in der Bauwirtschaft, wie die EU Freiheiten zu Lohn- und Sozialdumping führen. Sie erleben wie Arbeitsmigration den Druck am Arbeitsmarkt erhöht. Und sie erleben auch in der Arbeit eine Erhöhung des Drucks. Das alles macht sie anfällig für das Narrativ der Rechtspopulisten, dass ihnen Migranten die Arbeitsplätze wegnehmen würden, dass der Staat nichts für sie tut und die Politiker nur ihre eigenen Interessen verfolgen würden. Und auch für den zweiten Teil dieses Narratives, der gegen die Kälte des neoliberalen Wettbewerbs die fürsorgliche Wärme einer geschlossenen Volksidee verspricht, die aus Begriffen wie Nation, Heimat und Patriotismus geschöpft wird. Wenn jedoch klar ist, dass die Probleme aus der neoliberalen Globalisierung entstehen, wird auch klar, dass Nationalismus diesen Wettbewerb nur auf eine neue und gefährlichere Ebene hebt, den zwischen Nationen bis hin zu Krieg.
In der Linken wird momentan die These der identitätspolitischen Wende der Linken diskutiert. Zugespitzt ist der Vorwurf etwa der, dass sich die Linken mehr um Binnen-I, Inklusion, Homo-Ehe und Flüchtlingshilfe kümmern würden und die ökonomisch abgehängten Gruppen aus den Augen verloren hätten. Was daran wohl stimmt, ist, dass je vielfältiger die Gesellschaft wird, es umso schwieriger wird politisch prägnant und einfach verständlich für Gerechtigkeit und gegen Machtkonzentration einzutreten. Dass aber eine vielfältige Gesellschaft auch gut und bereichernd ist, ist der liberale Anteil an den grünen Werten.
Gegen diesen Vorwurf muss auch eingewandt werden, dass es sehr gute Gründe gibt, gegen die Ausgrenzungs-Ideologie der Rechten anzutreten. Dass Gerechtigkeit und Menschenrechte nicht auf ein Volk beschränkt werden können, besonders auch deshalb, weil der rechte Volksbegriff ein Konstrukt ist, das wenig mit der Realität zu tun hat.
Vor allem aber: Wenn man die ökonomischen und gesellschaftlichen Ursachen für den Aufstieg der Rechtspopulisten näher untersucht, macht es schon gar keinen Sinn mehr die Lösung in Ausgrenzung, Rückzug auf traditionelle Rollenvorstellungen oder Nationalismus zu suchen. Dagegen muss aber die Frage gestellt werden was Liberalismus heute ist oder nicht sein sollte und wie Linksliberalismus heute aussieht.
Man muss dazu einen kurzen Blick auf die Geschichte werfen: In den keynesianischen Jahrzehnten etwa vom zweiten Weltkrieg bis ungefähr in die 70er Jahre wurde der Sozialstaat und andere Regulative entwickelt, die die negativen Auswirkungen, die Widersprüchen der reinen Marktwirtschaft, des radikalen Wettbewerbs eingegrenzt haben. Die Grünen haben hier u.a. den Umweltschutz eingebracht, da ja – wie der Ökonom Karl Polany treffend analysiert hat – in der Preisbildung, in den Produktpreisen und damit in der Produktion keine höhere, nachhaltige Verantwortung für Mensch und Umwelt eingebaut ist und Unternehmen solche Kosten daher an die Allgemeinheit und an zukünftige Generationen abwälzen. Dieser teilweise auch hart erkämpfte Sozialstaat hat dann Freiräume für die liberale Gesellschaft geöffnet.
Dieser Sozialstaat ist heute in mehrfacher Hinsicht bedroht. Seit den 50er Jahren führen neoliberale Ideologen einen weltanschaulichen Feldzug. Der erlebte seinen Durchbruch in den Regierungen von Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Er erlebte seinen Durchbruch auch deshalb, weil die Globalisierung die sozialstaatlichen Regeln von außen aushebelt. Wenn Handel weltweit frei und unbeschränkt wird und damit die Märkte weltweite werden, entsteht eine Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Sozialsystemen, in der sich diese nach unten lizitieren. Wir erleben das heute in der EU, die einen liberalisierten Binnenmarkt hat, aber keine gemeinsamen Sozialsysteme.
Dazu kommt, dass durch die ungeregelte zinsgebundene Giralgeldschöpfung, durch deregulierte Finanzmärkte und durch die Automatisierung ein ständiges Wirtschaftswachstum nötig ist, nur um den Stand an Arbeitsplätzen überhaupt zu halten. Dieses Wirtschaftswachstum wird aber durch die Globalisierung selbst gedämpft. Wenn Arbeitskosten reduziert werden, z.B. durch Verlagerung in Billiglohnländer, wenn gleichzeitig Geld in Finanzanlagen fließt, steht weniger Geld für den Konsum und Investitionen zur Verfügung, die Wirtschaft wächst langsamer. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Antwort der Neoliberalen ist, dann müssen wir uns noch mehr anstrengen und die Exporte steigern. Dass dies nur auf Kosten anderer gelingen kann und durch Rückkopplungseffekte in der globalen Wirtschaft zu einer Dämpfung des Wirtschaftswachstum führt, und damit langfristig mehr Arbeitsplätze kostet als bringt, soweit sieht die neoliberale Ideologie nicht.
Die soziale und ökologische Eingrenzung des Wettbewerbs auf nationaler Ebene, wird auf globaler Ebene ausgehebelt. Dort fehlen entsprechende Regeln bislang. Dass dies die Gefahr einer autoritären, nationalistischen Wende bedeuten kann, hat der liberale Soziologe und Philosoph Ralf Dahrendorf schon 1997 sehr klarsichtig erkannt:
"Globalisierung vollzieht sich in Räumen, für die noch keine Strukturen der Kontrolle und Rechenschaft erfunden sind, geschweige denn solche, die den einzelnen Bürger ermächtigen. Globalisierung entzieht dem einzigen Domizil der repräsentativen Demokratie, das bisher funktioniert hat, dem Nationalstaat, die ökonomische Grundlage. Globalisierung beeinträchtigt den Zusammenhalt von Bürgergesellschaften, auf denen der demokratische Diskurs gedeiht. … Ein Jahrhundert des Autoritarismus ist keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert."
Wollen wir heute eine soziale, tolerante und liberale Gesellschaft bewahren und weiter entwickeln, dann ist es dringend nötig eine globale Eingrenzung der globalen, entfesselten Marktwirtschaft zu erkämpfen. Die globalen Finanzmärkte müssen reguliert werden. Die Finanztransaktionssteuer muss endlich Wirklichkeit werden. Die globalen Großkonzerne müssen verantwortlich gemacht werden für die Umwelt und für die Menschen, für alle von ihnen verursachten Folgewirkungen, also weit über die engen Tore ihrer Fabriken hinaus. Die zunehmende Ungleichheit braucht dringend Lösungen, wie etwa Vermögensteuern bis hin zur Basisdividende. Der entfesselte Wettbewerbsdruck in der Arbeitswelt muss begrenzt werden, etwa durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und Handelsabkommen müssen ernsthafte und rechtlich auch durchsetzbare Bestimmungen zu Umweltschutz, Konsumentenschutz, Arbeitnehmerinnenrechte, … erhalten.
Dass viele Sozialdemokraten und die meisten Liberalen im EU-Parlament für CETA, einen Vertrag dem diese Regeln fehlen, gestimmt haben, zeigt, dass ihnen der Ernst der Lage und seine Ursachen noch nicht bewusst sind.
Es ist also nötig klare Positionen zur Regulierung der globalen Marktwirtschaft und gegen den globalisierten Neoliberalismus zu entwickeln und diese auch einfach und zugespitzt zu kommunizieren. Nur in einer global regulierten Marktwirtschaft kann sich eine Gemeinwohlökonomie entfalten. Dazu braucht es dann noch ein Narrativ, wie diese bessere Welt für alle dann aussieht. Das ist im besten Sinne linker Populismus.