Grüner Kurswechsel für Wien
Vorwort von Maria Vassilakou
Ich war gerade eine Periode Mitglied des Wiener Gemeinderats, als die Wiener Grünen für den anstehenden Gemeinderatswahlkampf 2001 einen offenen Programmprozess starteten, der den Namen „Kurswechsel“ erhielt. Kurswechsel deshalb, weil es um ein städtisches Gegenkonzept zur auf nationaler Ebene regierenden Schwarz-blauen Koalition ging. Unsere demokratische Vision zielte auf die Ermächtigung der Bevölkerung und auf partizipative Modelle, die die bestehende Parteiendemokratie ergänzen. Schlussendlich konnten wir damals unser Konzept nicht umsetzen, weil die Wiener SPÖ erneut die absolute Mehrheit errang, und in der Folge weitere fünf Jahre allein regierte. Doch viele der damals angedachten Ideen und Vorschläge sind bis heute relevant geblieben. Manches konnte ich in den vergangenen Jahren auch systematischer umsetzen als dies mit einzelnen Oppositionsaktivitäten möglich war.
Im Kern ging es beim Grünen Kurswechsel für Wien um eine neue Form städtischer Demokratie, um eine demokratische Legitimation der Stadtpolitik in Zeiten der Globalisierung. Es ging darum, wie politische Entscheidungen, die die Lebensumstände vieler Menschen beeinflussen, zustande kommen und wie sie tragfähig und langfristig gestaltet werden können. Es ging darum, wie die Ressourcen einer Stadt genutzt und verteilt werden. Es ging darum, welche Möglichkeiten der Teilhabe in der Stadt vorhanden sind. Das war und ist von zentraler Bedeutung für moderne Stadtpolitik.
Modelle der BürgerInnen-Beteiligung, der partizipativen und der direkten Demokratie haben in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen, eben weil traditionelle Politik-Stile vielfach unter mangelder Legitimation leiden. Konkret heißt das, dass Großprojekte wie die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße oder die Umgestaltung des Schwedenplatzes nicht mehr ohne systematische BürgerInnenbeteiligung denkbar sind. Das ist gut so.
Partizipative Demokratie bietet für unsere Stadtpolitik große Chancen. Um Beteiligung und Mitbestimmung zu einem üblichen und transparenten Instrument städtischer Politik zu machen, brauchen wir klare Vorgaben dafür, wie Teilhabe ablaufen kann, wann sie gewährleistet werden muss und vieles andere mehr.
Der Grüner Kurswechsel für Wien hat 2001 viele spannende Ergebnisse gebracht. Nun werden die Ergebnisse als Grüne Werkstattschrift durch die Grüne Bildungswerkstatt öffentlich verfügbar gemacht.
Ich wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre – in der Hoffnung, dass die Vision einer Stadt der Teilhabe, die den vorliegenden Kurswechsel inspirierte, die Diskussionen über die Wiener Stadtentwicklung der nächsten Jahren bereichern wird.
Maria Vassilakou
Vizebürgermeisterin
Andreas Novy zur Geschichte des "Kurswechsel 2000"
Es war fast zeitgleich mit der Angelobung der Schwarzblauen Bundesregierung, dass die damalige Obfrau der GBW-Wien, Alexandra Strickner – heute Obfrau von Attac – mich überredete, Mitglied des Vorstands der GBW-Wien zu werden. Ich hatte vor kurzem meine Habilitation an der Abteilung für Stadt- und Regionalentwicklung abgeschlossen, und freute mich über die Chance, meine Erfahrungen mit Partizipationsmodellen im Rahmen der Grünen Bildungswerkstatt anwenden zu können. Gemeinsam initiierten wir für die Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen 2001 einen partizipativen Programmerarbeitungsprozess, der selten, wenn nicht einzigartig bei den österreichischen Grünen war. Die damals bekannt konfrontativen Lager von Fundis und Realos arbeiteten das ganze Jahr 2000 über konstruktiv an einer gemeinsamen Vision für einen Kurswechsel in Wien. Das Wort Kurswechsel war damals sehr beliebt. In der Farbenlehre war auch klar, dass es um ein rot-grünes Gegenmodell zum schwarz-blauen Neoliberalismus gehen muss. Der Inhalt dieses Kurswechsels rankte sich um ein Wort, das weder vorher noch heute zu den Schlüsselwörtern
der Grünen und der politischen Auseinandersetzung zählt: Teilhabe. Ich weiß nicht mehr wann und wie, aber plötzlich war es das verbindende Wort, das die Elemente des Teilhabens im Sinne dessen, was wir heute Zugang zur Stadt, zu Bildung, Gesundheit, öffentlichen Räumen und Verkehr nennen, mit dem verband, was heute Partizipation heißt: also mitentscheiden und mitgestalten.
In einem Team mit Georg Günsberg, damals Referent von Spitzenkandidat Christoph Chorherr, steuerten wir einen parteiinternen Beteiligungsprozess, der genau den Effekt hatte, den gute Partizipationsmodelle anstreben: Es kam zu einer gemeinsamen Identitätsbildung, heute würden wir sagen, dass weite Teile der Wiener Partei Ownership für diese Vision der Stadt der Teilhabe übernahmen. Im Jänner 2001 beschloss die Wiener Landeskonferenz einstimmig das vorliegende Dokument: „DER GRÜNE KURSWECHSEL FÜR WIEN – DIE STADT GEHÖRT UNS ALLEN! GESTALTEN WIR SIE MIT!“ Nach der Wahl 2001, bei der die Wiener Grünen stark zulegten, die Wiener SPÖ aber überraschend die absolute Mehrheit errang, geriet der Teilhabe-Elan ins Stocken. Im Laufe der Jahre landete auch dieses Papier in der Ablage, der innovative Programmerstellungsprozess geriet in Vergessenheit.
Die Grüne Bildungswerkstatt nützt ihre neue Reihe der Werkstattschriften“, um an diese Vision einer grünen Stadt zu erinnern. Zahlreich waren die von AutorInnen gelieferten Texte, die von Georg endredigiert wurden. Vielleicht
erinnert sich die eine oder andere an Textbausteine, mit denen sie zu diesem kollektiven Text beigetragen hat. Mir hat das Wiederlesen Spaß gemacht, manche Formulierungen regen im Rückblick zum Schmunzeln an. Vieles Richtige wurde damals erkannt, manches auch schon umgesetzt. Und es ist Anlass zu wirklicher Freude, dass die Vision der grünen Stadt – ebenso wie die Herausforderungen – in vielen Details und der großen Linie die selbe geblieben ist. Das grüne Wien – eine Stadt der Teilhabe.
In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß beim Lesen
Andreas Novy
Obmann der Grünen Bildungswerkstatt