Langsamer, besser, weniger, schöner
In Zeiten sich häufender und intensivierender Krisen - sei es Fukushima, Hayan, oder Eurokrise - (partiell sicherlich eine Antwort auf die sich destabilisierenden Verhältnisse) - scheint es fast ironisch ein Buch unter dem Titel „Damit ein gutes Leben einfacher wird“ zu verfassen. Uwe Schneidewind, Leiter des Wuppertal Instituts, und Angelika Zahrnt, Ehrenvorsitzende des BUND, haben genau dies gewagt.
Doch kaum ist die erste Verwunderung abgelegt, so stößt man gleich auf die nächste. Denn der Untertitel des Buches lautet „Perspektiven einer Suffizienzpolitik“. Suffizienz wird heutzutage schnell mit Subsistenz, der kompletten Selbstversorgung, verwechselt. Daher entsteht bei dem Wort schnell ein Bild technologie- und zivilisationsfeindlicher, gar misanthropischer Umweltaktivisten in den Köpfen, die ein Zurück in die Höhlen steinzeitlicher Stämme fordern. Nun verbindet der Untertitel auch noch dieses unbekannte Wort mit Politik. Was kann dies anderes bedeuten als eine „Öko-Diktatur“ oder einen „neuen Sozialismus“ (siehe die Diskussion um den Veggie-Day)?
Überwindet man diese Überraschung und Skepsis und beginnt das Buch zu lesen, so wird man jedoch sogleich eines Besseren belehrt. Denn Suffizienz (lat. sufficere: ausreichen) fragt nach dem rechten Maß. Ehemals eine große und wichtige Frage, mit der sich schon Philosophen wie Sokrates auseinandersetzten, ist sie heute in Vergessenheit geraten. Der amerikanische Professor Thomas Princen verwendet auch den Begriff „enoughness“, den man vielleicht mit Mäßigung oder Maß halten übersetzen könnte. Es geht um die Frage, wie viel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse tatsächlich notwendig und gut ist.
Doch warum nun die Diskussion über Suffizienz in einer Gesellschaft des Überflusses, die anscheinend fähig, jedoch auch abhängig davon ist, immer weiter zu wachsen. Darüber hinaus ist es ihr auch noch durch clevere Innovationen und Technologie möglich dieses Wachstum von den damit verbundenen negativen Folgen auf die Umwelt zu entkoppeln.
Schon Ludwig Erhardt schrieb auch ohne ökologische Krise 1957: “Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist unter Verzichtleistung auf diesen 'Fortschritt' mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen. […] dann werde wir in ferneren Tagen auch zu einer Korrektur der Wirtschaftspolitik kommen müssen. Niemand dürfte dann so dogmatisch sein, allein in der fortdauernden Expansion noch länger das Heil erblicken zu wollen.”
Die Autoren präsentieren Suffizienz als Antwort auf eine Vielzahl von Problemen der Menschen in heutigen Industriestaaten. Diese reichen von Ideen zur Entschleunigung als Antwort auf einen von vielen Menschen häufig beklagten Zeitmangel, bis hin zur Umstellung der Produktion von kurzlebigen Produkten auf langlebigere und die einfach repariert werden können. Doch die über allem schwebende Frage lautet: Wie kann die heutige Lebensqualität gehalten oder sogar (wieder) gesteigert werden ohne weiterhin mit Vollgas auf den ökologischen Kollaps zu zusteuern?
Denn zumindest in der Forschung setzt sich langsam aber sicher die Erkenntnis durch, dass uns unsere Ingenieurinnen und Ingenieure und ihre Erfindungen nicht alleine werden retten können. Momentan liegen die Hoffnungen noch auf der Entkopplung des Wachstums des globalen BIPs von den negativen Umweltauswirkungen wie z.B. dem erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen. Doch selbst wenn eine derartige Entkopplung möglich wäre, erscheint sie in Anbetracht der bereits emittierten Menge an Treibhausgasen nicht schnell genug möglich. Man kann diese Option daher eher als Science Fiction Erzählung bezeichnen als eine realistische Option (vgl. Tim Jackson – Prosperity without Growth Seite 55 ).
Darüber hinaus hat die Forschung in den vergangenen Jahren leider noch einen weiteren Hacken an dem alleinigen Streben nach und Glauben an Effizienzsteigerungen gefunden: den Rebound-Effekt, der die notwendige absolute Reduktion negativer Umweltauswirkungen nur durch Effizienzgewinne vollkommen ins Reich der Fantasten, Träumer und Realitätsverweigerer schickt. Darunter versteht man die Neutralisierung oder gar Überkompensation von Effizienzgewinnen durch Mehrnutzung oder der Nutzung freiwerdender Finanzen für andere Zwecke. Von den neuen LEDs werden doppelt so viele eingebaut und länger leuchten gelassen, mit dem durch ein sparsameres Auto gesparte Geld wird ein Flug in den Urlaub bezahlt, etc.
Daher hat sich bei Schneidewind und Zahrnt die Einsicht durchgesetzt, dass es wohl ohne Verhaltensänderungen nicht geht. Doch die frohe Botschaft lautet, dass diese nicht einmal unser Leben verschlechtern müssen, denn das Motto lautet: „Langsamer, besser, weniger, schöner“.
Auf den folgenden 160 Seiten skizzieren die beiden Autoren Politikansätze, die einen suffizienteren Lebensstil ermöglichen und unterstützen können. Dies ist insofern beachtlich, als die Debatte um Suffizienz bisher stark auf das Individuum fokussiert war. Das Argument hierfür lautet häufig, dass eine auf Suffizienz zielende Politik nicht mehrheitsfähig sei. Dagegen scheinen die Politiken in den aufgezeigten vier Bereichen „Rahmen“, „Orientieren“, „Gestalten“ und „Ermöglichen“ zum Teil heute schon anschlussfähig.
Veränderungen des gesellschaftlichen Ordnungsrahmens sind eine wichtige Säule der vorgestellten Suffizienzpolitik. Vorschläge dafür sind beispielsweise das schon in der Enquete-Kommission „ Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ diskutierte neue Wohlstandsmaß. Moderne Infrastrukturpolitik setzt vor allem in Städten schon heute auf Fahrradwege und den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, bei gleichzeitiger Verteuerung des Individualverkehrs. Die Forderungen nach höheren Spitzensteuersätzen und der Einführung einer Vermögenssteuer sind schon heute Teil politischer Debatten und waren ja auch jahrzehntelang selbstverständlicher Teil gesellschaftlichen Ausgleichs. Einzig von einer neuen ökologischen Steuerreform ist bis heute noch wenig zu hören. Die Steuern würden zu einer Verteuerung aller Ressourcen, zur Förderung der Ressourceneffizienz, führen. Diese Maßnahme müsste einhergehen mit einer Senkung der Lohnnebenkosten, zur Vergünstigung etwa von Reparaturdienstleistungen.
Doch an welchen Leitlinien soll sich Suffizienzpolitik allgemein orientieren? Die Grundpfeiler sind hier die „vier E“ von Wolfgang Sachs. Zur Entschleunigung könnte eine neue Arbeitszeitpolitik mit einer 30-Stunden-Woche und/oder neuen Teilzeitmodellen sowie Sabatticals beitragen. Da die Autoren, die globale Arbeitsteilung als wesentlichen Treiber der Wachstums- und Steigerungslogik ansehen, könnten Preise, die die ökologischen Folgen berücksichtigen, eine Entflechtung der globalen Wirtschaft bewirken. Zur Entrümpelung kann die Politik mit verlängerten Garantiezeiten oder einer Einschränkung der Werbung beitragen. Entkommerzialisierung würde bei der Bildungspolitik anfangen, beispielsweise durch eine auf neuesten Erkenntnissen beruhende Lehre, die das Model des „Homo oeconomicus“ nicht mit der Realität verwechselt. Gemeingütern und Selbstversorgung zu fördern sind weitere Punkte die genannt werden.
Weitere Ideen der Politikgestaltung werden für die Grundbedürfnisse Wohnen, Mobilität und Ernährung skizziert. Die Ansätze lassen sich zusammenfassen unter den Oberthemen der lebenswerten Stadt, einer Reduzierung des motorisierten Verkehrs sowie einer weniger fleischlastigen, mehr regionalen und saisonalen Ernährung. Doch auch hier achten die Autoren immer auf die Erhaltung oder sogar Steigerung der Lebensqualität bei einer Reduzierung der absoluten Umweltauswirkungen.
Es geht ihnen um die Ermöglichung suffizienter Lebensstile durch eine progressive Arbeits-, Bildungs-, Gesundheits- und Verbraucherpolitik anstatt einer Einschränkung. Daher sehen die Autoren ihre Politikvorschläge im Rahmen eines aufgeklärten Liberalismus. Individuelles Verhalten ist aus ihrer Sicht immer in institutionelle und gesellschaftliche Kontexte eingebettet. Daher braucht es eben beides, visionäre Pioniere und eine Politik, die auf verschiedenen Levels, von der lokalen bis zur supranationalen, Hürden für suffiziente Lebensstile verringert oder beseitigt, damit diese in der Breite leichter gepflegt werden können.
Schneidewind und Zahrnt liefern mit ihrem Buch eine erfrischende Perspektive für die Umwelt- und Sozialbewegungen. Es ist ihnen gelungen Ansätze einer Politik zu skizzieren, die von einer konkreten Utopie geleitet wird. Und ist es nicht genau das was heute fehlt? Ist vielleicht, entgegen der Behauptung eines Endes der Geschichte, zu Beginn des neuen Jahrhunderts an der Zeit für neue Visionen wie der des „guten Lebens“? Zeit für die Überwindung alter Systemgegensätze und Kämpfe, durch die Suche nach einem neuen Konzept jenseits der Ideen des vergangenen Jahrhunderts? Der Einsatz und das Streiten FÜR einen positiven Gegenentwurf, der Hoffnung macht, statt der ständige Verteidigungskampf gegen ein weiteres Hinauszögern eines Klimaabkommens und gegen eine sich öffnende Schere in der Gesellschaft.
Es bleibt abzuwarten, ob Ideen wie die der beiden Autoren vom ökosozialen Diskurs ausgehend im politischen ankommen und auch in der Breite mehr Einfluss erreichen werden.
Uwe Schneidewind, Angelika Zahrnt “Damit ein gutes Leben einfacher wird - Perspektiven einer Suffizienzpolitik”, München 2013, oekom Verlag, 160 Seiten, 12,95€
Das Buch ist in englischer Fassung online frei verfügbar: The Politics of Sufficiency - Making it easier to live the Good Life