Leistbares Leben, Frage aller Fragen
Von Christian Krall
Leistbares Leben“ ist ein Thema, in das man fast alles hineinpacken kann, was mit dem Leben zu tun hat. Das ist deshalb so, weil der kaum übersteigbare Rahmen, an den wir heute ständig gestoßen werden, die Leistungsgesellschaft ist. Leistung scheint die Bedingung zu sein, unter der wir leben … also irgendwie grundsätzlich prekär. Und Punkt.
Seit Erfindung des aufrechten Gangs
Andererseits war das immer schon so – seit Erfindung des aufrechten Gangs. Herausgeworfen aus der Instinktregulation, lebt der Mensch als Nichtmehr-Tier von dem, was er zu leisten vermag. Oder von dem, was andere für uns leisten; wobei wir die anderen dazu bringen müssen, dass sie das tun … Babys und Kleinkindern gelingt das ganz gut (und ohne Repression). Jedenfalls schwärmen die meisten Eltern die meiste Zeit ihres Lebens davon. Uns beschenkt zu finden und zu schenken gehört also zum Dasein dazu. Und Punkt.
Ob das menschliche Leben (als Sonderfall) sowohl für sich selbst als auch für das Leben insgesamt auf diesem Planeten leistbar sein wird, kann nur als fraglich bezeichnet werden. Aber wir können zu unserer Entschuldigung immerhin sagen „wir haben nicht angefangen damit“. Und die Anhänger des „intelligent design“, die an einen Schöpfergott glauben, aber das nicht mehr so direkt wie in der Bibel darstellen wollen – müssen sich jedenfalls den Vorwurf gefallen lassen, dass das Design der Intelligenz als Ersatz für die tierische Instinktsteuerung nicht gerade „gesamtüberzeugend“ ausgefallen ist. Und Punkt.
Wenn wir nun damit leben müssen, dass wir uns nur leisten können, was wir direkt oder indirekt „zu leisten“ vermögen – so liegt das Problem heute darin, dass die Zugänge zu den Ressourcen gelinde gesagt sehr kompliziert sind. Was nützt es mir, leistungswillig zu sein, wenn es kein wie immer geartetes „Leistungsfeld“ für mich gibt; sei es ein Stück Acker, eine Werkstatt oder ein Arbeitsplatz. Und selbst wenn ich einen solchen erobert habe: so ist es nicht meine Leistung, mit der ich bestimme, was ich mir leisten kann. Sondern der Wert, der meiner Leistung auf dem Markt zugeschrieben wird, bestimmt das. Und dieser Markt fragt nicht, für welche Art von Leben das reicht. Und … leider … Punkt.
Das Maß liegt schief
„Sage mir, was du dir nicht leisten kannst, und ich sage dir wer du bist.“ Für diejenigen Fälle, in denen sich Menschen keine geheizte Wohnung, keine warmen Mahlzeiten und keine angemessene Kleidung leisten können, sagt uns die Statistik, dass es sich mehrheitlich um Alleinerzieherinnen oder Menschen mit Migrationshintergrund handelt. Unser Verstand kann uns nur sagen, dass die Politik dazu da ist, um genau solche Armutszustände zu verhindern. Wie rechtfertigt sich ein Staatswesen denn sonst?! Diese Dinge gehören gelöst. Ohne ideologisches Hickhack, dafür umso rascher. Und Punkt.
Wie der französische Literaturnobelpreisträger Albert Camus immer wieder betont, gab es in seiner ärmlichen Kindheit in der algerischen Hafenstadt Oran dennoch die Sonne und das Meer. Auch für ihn. Wirkliche, vernichtende Armut verortet er dort, wo es keinen für alle verfügbaren Zugang zu solchen elementaren Quellen der Freude und des Lebens mehr gibt – so wie er es in den Vorstädten von Paris gesehen hat. Damit wären wir bei der Frage nach dem Unvernutzten und Unregulierten, nach den Brachflächen und Leerständen, dem öffentlichen Raum und den unterschiedlichsten Kulturen oder Nicht-Kulturen sich diese anzueignen – und bei der Frage nach den Ufern an unseren Seen im Salzkammergut; die aber hier alle zu weit führen. Und Punkt.
Ohne Inflation kein Geiz-ist-geil
Darüber hinaus jammert jeder und jede auf seinem und ihrem Niveau. Und zwar mit Recht. (Die Superreichen lassen wir hier einmal weg – damit sie auch einmal die Erfahrung des Ausgeschlossenseins spüren). Damit ist nicht die Teuerungsrate gemeint. – Ach, man stelle sich doch einmal vor, wir hätten Deflation anstatt Inflation: die Dinge würden alle beständig, Tag für Tag billiger werden. Wenn dann die Menschen tatsächlich so geizgeilgierig sind, wie man ihnen durchweg unterstellt, wären gerade die Schnäppchenjäger mit ihrem Latein am Ende und ausgestorben wie die Säbelzahntiger (aber innerhalb weniger Wochen bereits), weil ja heute zu kaufen anstatt morgen (und noch besser natürlich übermorgen) ein unverzeihliches Blödmanns-Verlustgeschäft wäre, auf das man sich – da man doch nichts zu verschenken hat – unmöglich einlassen kann …
Also nochmals: Darüber hinaus – jenseits des Notwendigsten – jammert jeder und jede auf seinem und ihrem
Niveau. Egal, was in der Geldbörse ist. Und zwar mit Recht. Das hat zwei Gründe. Der erste liegt, wie schon gesagt wurde, nicht darin, dass die Preise so hoch sind: Sondern im Umstand, dass das Geld niemals reicht; nie reichen kann. Denn das Geld ist seinem Wesen nach knapp, sonst könnte es nicht als Tauschmittel funktionieren! Der zweite Grund liegt im Wesen des Menschen. Um es hier einfach zu machen: Jeder und jede bastelt sich seine und ihre Welt; und in diesen Entwürfen und Nischen haben Grenzen ihre ganz besondere Rolle und ihren ganz besonderen Reiz. Sie geben uns Sicherheit und es lockt uns zugleich, sie immer wieder zu überschreiten – als wären sie unsere zweite Haut und wir brauchen die Auseinandersetzung mit ihnen, um uns zu spüren.
Das Tüpferl macht den Unterschied
Wenn das so ist und wenn man der Glücksforschung glaubt, ist es (immer jenseits des Notwendigsten) irgendwie sogar gut, dass das Geld niemals reicht. Dass es immer irgendwo etwas gibt, das ich gerne zusätzlich hätte, mir aber das Geld dafür fehlt (der finanzielle Spielraum) – beziehungsweise, dass ich eben doch eine Möglichkeit finde, es mir dann trotzdem zu leisten (indem ich zum Beispiel darauf spare; oder anstatt etwas anderem, auf das ich dafür verzichte; oder weil es mir jemand schenkt. Hier gehört sicher die große Beliebtheit des Pfuschens und auch das 13. und 14. Monatsgehalt her, das die Mehrheit ja keinesfalls gleichmäßig übers Jahr aufgeteilt haben will).
Der Grenz-Bereich dessen, was wir uns gerne leisten würden aber nicht können (aber träumen dürfen wir ja), oder irgendwann doch gönnen (umso größer ist das Vergnügen) ist höchst individuell. In diesen Begehrlichkeiten und ihrem Wechselspiel mit den „Selbstverständlichkeiten im Hause“ (also den Dingen, wo nie in Frage steht, sie mir nicht zu leisten) – in ihnen verhandle ich insgesamt, wo ich dazugehöre, wo ich dazu gehören möchte und wo ich nicht dazu gehören will (keinesfalls!).
Markenzeichen Verzicht?
Je mehr von ihnen ich mir doch gönnen kann, umso klarer geht diese Botschaft nach außen; je weniger, umso eher richtet sie sich nur an mich; aber es bleibt eine Botschaft und die Abgrenzung funktioniert allemal. Mag es bei der einen ein Smartphone und beim anderen ein Pullover von Hess-natur sein. Es kann sogar Furchtlosigkeit vor der materiellen Zukunft sein, die man sich leistet (wie es die Bibel empfiehlt), oder edle Genügsamkeit mit dem wenigen, das man hat, oder demonstrativer Verzicht. Ein Unterscheidungsmerkmal, so viel Ehrlichkeit sollte sein, ist auch das. Ist ja nicht schlimm; überhaupt nicht. Noch dazu, wenn wir uns diesen schönen Gedanken von Ludwig Tieck, dem Dichter aus der Romantik, zu Eigen machen: „… tadle nicht zu strenge die Glückseligkeit anderer Menschen, nur weil sie nicht die deinige ist.“
„Sage mir, was du dir nicht leisten kannst, und ich sage dir, wer du bist.“ Verkürzt könnte man sagen: Was du dir nicht leisten kannst, bist du. Und zum kulturpessimistischen Angriff auf unsere Zeiten gewendet: Was man sich heute total nicht mehr leisten kann, ist ein unabhängiges Ich. Und so sieht es manchmal ja aus.
Feste Schuhe, festes Ich, ein Schulanfang
Und es sieht auch so aus, dass alles, was auf den Markt kommt – jedes Produkt (auch der Waldviertler in einer zusätzlichen Lederfarbe), jede Dienstleistung (auch das alternativste Seminarangebot) – zugleich Menschen definiert, definieren muss, die es „ärmer“ macht als sie vorher eigentlich waren: indem es ihnen gefällt, sie es sich aber nicht leisten können. Und natürlich hat das auch etwas mit Bildung zu tun; das ist die, die uns mit nützen und unnützen Dingen beschäftigt und unser Ich bildet und gegen die Zumutungen und Anflutungen der Konsumwahnsinnswelt feit.
Fest steht nämlich, ein gefestigtes Ich kann sich mehr leisten. Im doppelten Sinn. Nicht nur wegen der geringeren Scheu, zu sich zu stehen; sondern weil ein gefestigtes Ich weniger Geld für die käuflichen Ichstützen und die käufliche Ichpflege benötigt. Und Punkt.
Vor Kurzem hat wieder die Schule begonnen. In den Oberösterreichischen Nachrichten (und wohl nicht nur dort) gab es den üblichen Artikel zu den neuesten Modetrends für die Kids, diesmal starten die Kinder „sportlich ins Schuljahr“. Eine Frau aus Vöcklamarkt, Mutter von drei Kindern, hat sich in einem Leserbrief engagiert dagegen zur Wehr gesetzt. Der Brief wurde nicht nur abgedruckt, sondern so prominent präsentiert, dass es fast schon an Selbstkritik grenzt und der Leserbrief eigentlich zu einem Aufruf gemacht wird! Dürfen wir das als einen Hoffnungsschimmer ansehen? Ja, das wollen wir uns leisten! Und Punkt.