Plass - Grundeinkommen ja, aber richtig!
Für viele Menschen ist die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens eine faszinierende Vision: Die Menschen wären nicht nur sozial abgesichert, sondern auch wesentlich freier und selbstbestimmter, wenn unabhängig von jeglicher Gegenleistung für ihr Einkommen gesorgt wäre.
Trotzdem bleibt auch den glühendsten BefürworterInnen des Bedingungslosen Grundeinkommens eine unangenehme Frage nicht erspart: Wie realistisch ist es, dass diese Idee in Österreich oder Europa je verwirklicht wird? Und ist es demnach strategisch sinnvoll, in der politischen Arbeit auf diese Karte zu setzen? Drei Gründe lassen massive Zweifel aufkommen:
Erstens wäre für die Akzeptanz eines Bedingungslosen Grundeinkommens eine fundamentale Änderung unserer Mentalität notwendig. Der oft zitierte Satz »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen!« steckt noch immer tief in unseren Köpfen. Das ist kein Wunder: In allen Ländern, die so reich sind, dass sie theoretisch ein Bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren könnten, ist auch das Arbeitsethos entsprechend hoch. Selbst viele Menschen, die aufgrund ihres niedrigen Bildungsgrades und ihrer schwachen Stellung am Arbeitsmarkt am ehesten von einem Grundeinkommen profitieren würden, begegnen dieser Idee mit massiver Skepsis und Ablehnung.
Dass hingegen Menschen, die ein Vermögen geerbt haben, allein von den Früchten ihres leistungslos erworbenen Eigentums und nicht von ihrer Arbeit leben können, ist weitestgehend akzeptiert. Dieses Phänomen ist, wie wir später sehen werden, sehr wichtig, wenn es darum geht ein alternatives Grundeinkommens-Modell zu skizzieren.
Die zweite Schwierigkeit besteht in der Finanzierung. Damit ist nicht die theoretische Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens gemeint – wenn man will, kann man fast alles finanzieren –, sondern deren praktische Machbarkeit. Denn neben einem Komplettumbau unseres Sozialstaates würde ein Grundeinkommen auch eine Radikalreform unseres Steuersystems erfordern.
In der Debatte kursieren im Wesentlichen zwei Finanzierungsvarianten: Eine Möglichkeit bestünde darin, die in Österreich bereits jetzt schon sehr hohe Steuer- und Abgabenquote noch einmal kräftig anzuheben, wenn man das Grundeinkommen zum Beispiel über Vermögenssteuern finanzieren wollte. Wir sprechen hier von zweistelligen Milliardenbeträgen an zusätzlich notwendigen Einnahmen, die Österreich von einem Hochsteuerland zum internationalen Steuereinhebungs-Spitzenreiter machen würden! Andere Modelle sehen eine massive Verschiebung der Steuerlast von den Arbeitseinkommen in Richtung Verbrauchssteuern vor, wobei von Mehrwertsteuersätzen bis zu 100 Prozent die Rede ist.
Beide Varianten sind in einer kleinen, offen Volkswirtschaft inmitten der Europäischen Union entweder praktisch oder rechtlich unrealisierbar. Es müsste also nach einem Grundeinkommens-Modell gesucht werden, das sich quasi unabhängig von steuerlichen Eingriffen des Staates realisieren lässt.
Die dritte Hürde besteht darin, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen ein gigantisches Umverteilungsprojekt wäre, was ja auch der Sinn der Sache ist: Wenn immer mehr Menschen monetäre Einkommen erhalten, obwohl sie dafür keine monetär bewertete Arbeit leisten, kann dieses Geld letztendlich nur von jenen kommen, die dieses Geld mit ihrer Arbeit »verdienen«.
Für viele SteuerzahlerInnen ist es schon schwer verständlich, dass nicht nur Erwerbslose, sondern auch Menschen, die gar nicht arbeiten wollen, eine staatliche Alimentierung erhalten sollen. Wenn für die Finanzierung dieses Grundeinkommens auch noch zusätzliche Steuern eingehoben werden müssten, wird die Idee für die meisten BürgerInnen vollkommen inakzeptabel.
Die leidige Debatte rund um Vermögenssteuern im Laufe der letzte Jahre hat zudem eines gezeigt: Die wenigen wirklich Reichen, die man zum Beispiel über eine Erbschaftssteuer zur Kasse bitten könnte, verfügen hierzulande offenbar über sehr effektive Methoden, sich gegen die Einführung einer solchen Steuer zur Wehr zu setzen. Und sie finden seltsamer Weise nicht nur in der Politik Verbündete, sondern auch bei einer Mehrzahl jener Menschen, die niemals von Vermögenssteuern betroffen wären. Aus welchen Gründen auch immer werden Erbschaftssteuern hierzulande nicht als gerechter Ausgleich für eine glückliche und leistungslose Geburt einiger Weniger in eine wohlhabende Familie empfunden, sondern als »schamlose Enteignung« rechtmäßigen Eigentums durch den Staat. Auch dieses Paradoxon müsste man sich für die Konstruktion eines durchsetzbaren Grundeinkommens zunutze machen.
Vieles spricht also dagegen, dass ein klassisches Bedingungsloses Grundeinkommen, bei dem der Staat jedem Bürger monatlich eine bestimmte Geldsumme ausbezahlt, realisierbar ist. Trotzdem werden wir schon bald ein derartiges sozialstaatliches Instrument benötigen: In einer Wirtschaft, die kaum mehr wächst und in der zunehmend Jobs durch Digitalisierung verloren gehen, müssen wir eine immer größere Anzahl an Menschen vor dem finanziellen Absturz bewahren, für die der Arbeitsmarkt keine Verwendung mehr hat.
Unsere Wirtschaft steht in den kommenden Jahren aber noch vor einer zweiten gigantischen Herausforderung: Wenn man das bei der UN-Klimakonferenz in Paris beschlossene und bereits von großen Teilen der Staatengemeinschaft ratifizierte 2-Grad-Ziel ernst nimmt, müssen unsere CO2-Emissionen bis Mitte dieses Jahrhunderts praktisch auf Null sinken. Bislang ist noch keine erfolgversprechende Strategie in Sicht, mit der dieses ambitionierte Vorhaben realisiert werden könnte. Hier nur auf Vernunft oder technologische Innovationen zu vertrauen und nicht auch daran zu denken, die CO2-Emissionen jedes einzelnen Menschen zu beschränken, wäre sehr fahrlässig!
Es ist also reizvoll, nach einer gemeinsamen Lösung für diese beiden Probleme zu suchen. Und da sich die Diskussion über ein Grundeinkommen ohnehin im utopisch-visionären Bereich befindet, können wir unseren Gedankenexperimenten auch hier freien Lauf lassen:
Wie wäre es, wenn wir ein »Bedingungsloses Klimaschutz-Einkommen« ausbezahlen? Also kein Grundeinkommen in Form von Geld, sondern ein Einkommen in Form einer Zuteilung von handelbaren Rechten, die Erdatmosphäre pro Kopf und Jahr mit eine gewissen Menge CO2 zu verschmutzen?
Zu diesem Zweck würde – grob vereinfacht dargestellt – die derzeit von Österreichs Privathaushalten emittierte Gesamtmenge an Treibhausgasen durch die 8,5 Millionen hierzulande lebenden Menschen dividiert, und jeder Bürger bekäme am 1. Jänner jedes neuen Jahres staatlich garantierte Emissionsrechte für seinen Anteil zugesprochen. In der Folge müsste für besonders CO2-intensive Produkte – z.B. Autotreibstoffe, Heizöl, Erdgas und Flugtickets – nicht nur mit Geld, sondern zusätzlich auch mit den entsprechenden Emissionsrechten bezahlt werden.
Dadurch würde sich folgende Situation ergeben: Arme oder arbeitslose Menschen, die nur über wenig Geld verfügen und wirtschaftlich gar nicht in der Lage sind, überdurchschnittlich viel CO2 zu emittieren, hätten plötzlich dieselbe Menge an Emissionsrechten in der Hand wie Reiche. Diese wiederum würden aber wesentlich mehr als die ihnen zugeteilten Emissionsrechte benötigen, um ihr vieles Geld auch ausgeben zu können bzw. ihren vergleichsweise aufwändigeren Lebensstil mit Wochenendhaus, Zweitwagen, Flugreisen etc. zu pflegen.
Würde nun der Staat eine Handelsplattform einrichten, auf der die Armen ihre nicht benötigten Emissionsrechte an die Reichen verkaufen können, würde im Gegenzug Geld von Reich in Richtung Arm fließen, ohne dass der Staat zusätzliche Steuern einheben muss. Der Staat wäre nicht mehr die umverteilende Instanz, sondern müsste lediglich den Handel zwischen souveränen Marktteilnehmern organisieren, die nicht mehr aus dem Füllhorn des Staates bedient werden, sondern miteinander über die gegenseitige Inanspruchnahme ihres Eigentums verhandeln. Und neben dem sozialen Ausgleich würde plötzlich auch ein ökologischer Ausgleich stattfinden.
Ein weiterer Vorteil bestünde darin, dass es sich um einen sehr liberalen Ansatz handelt: Jeder Bürger könnte mit seinem Geld weiterhin das konsumieren, was er möchte, sofern er sich innerhalb der durch die verfügbaren Emissionsrechte abgesteckten ökologischen Grenzen befindet. Der Staat müsste also keine CO2-Steuern einführen, Verbrauchswerte reglementieren oder gar Verbrennungsmotoren verbieten. Alles würde wie von Zauberhand von selbst geschehen, da der Markt und seine KonsumentInnen durch immer knapper werdende Rechtezuteilungen die notwendigen Impulse für Veränderungen aus eigenem Antrieb erhielte.
Natürlich steckt bei einem solchen System der Teufel ebenfalls im Detail: Der Handel müsste streng reglementiert und überwacht werden, um schwache Marktteilnehmer zu schützen und die Spekulation mit Emissionsrechten zu unterbinden. Auch müsste ein derartiges Klimaschutz-Einkommen wahrscheinlich europaweit eingeführt werden, was aber schon allein deswegen nicht unvorstellbar erscheint, weil ja alle EU-Staaten vor derselben Herausforderung stehen, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren, und hier das Bewusstsein schon wesentlich ausgeprägter ist als bezüglich einer gemeinsamen Sozial- und Steuerpolitik.
Einmal eingeführt könnte man den Emissionsrechtehandel mit jedem Jahr ein klein wenig verschärfen, um die angestrebten CO2-Reduktionsziele fristgerecht zu erreichen. So wäre es möglich, im Laufe der Zeit weitere besonders klimaschädliche Produktkategorien – etwa Unterhaltungselektronik oder tierische Nahrungsmittel – in das System aufzunehmen. Zu jedem Jahresbeginn, wenn die persönlichen CO2-Konten neu aufgefüllt werden, würden zudem die ausgegebene Gesamtmenge an Emissionsrechten und dadurch auch die entsprechende Pro-Kopf-Zuteilung ein wenig sinken, bis die Klimaschutzziele erreicht sind.
Am Ende dieses Prozesses, wenn praktisch keine Treibhausgase mehr emittiert werden, müsste man lediglich von CO2 auf eine andere Bemessungsgrundlage – z.B. den gesamten ökologischen Fußabdruck eines Produktes – umsteigen, um das Grundeinkommens-Modell weiter am Laufen zu halten. Knappe Ressourcen und gefährdete Lebensgrundlagen, die als Bezugsgröße dienen könnten, gibt es ja leider mehr als genug.
Natürlich könnten sich die BürgerInnen auf demokratischem Wege auch gegen die Einführung eines solchen Systems zur Wehr setzen. Im Gegensatz zu einem monetären Grundeinkommen, bei dem sich der Staat bei den Wählern für zusätzliche Steuern zu rechtfertigen hätte, wäre bei einem Klimaschutz-Einkommen die Beweislast jedoch umgekehrt:
Da die Erdatmosphäre niemandem gehört, kann sie nur allen Menschen zu gleichen Teilen gehören. Und da in einer Marktwirtschaft auch dieses Eigentum absoluten Schutz genießen sollte, müssten plötzlich die Reichen erklären, womit sie ihr vermeintliches Recht begründen, das Klima um ein Vielfaches stärker zu schädigen als es die Armen tun. Mit anderen Worten: Was die Reichen in einem funktionierenden Rechtsstaat legitimiert, das Eigentum ärmerer Menschen ohne jegliche Gegenleistung zu zerstören.
Und genau dafür gibt es keine vernünftigen Argumente!
Volker Plass ist Unternehmer und Bundessprecher der Grünen Wirtschaft.