Zwischen "Nie wieder Auschwitz" und "Nie wieder Krieg!" - Die Grünen und die Gewalt
So sinnvoll und richtig diese beiden Grundsätze sind, so problematisch werden sie als Handlungsanleitungen in konkreten Situationen. Nicht nur, weil sie sich eventuell widersprechen, sondern weil sie alle AkteurInnen, tatsächliche und potentielle, beeinflussen. Durch ihre Rigidität entstehen im Angesicht von Leid und Tod unschuldiger Menschen untragbare Diskussionen: Es muss das aktuelle Leiden von Menschen gemessen und verglichen werden und jede Parteinahme wird zu einer unredlichen Relativierung, sowohl gegenüber den Opfern der Shoa, als auch gegenüber den aktuellen Opfern. Auf der anderen Seite wird jeder Feind zu einem neuen Hitler stilisiert. Und man gerät in das Dilemma, dass jede Warnung vor einem Genozid ex ante alarmistisch und schrill wirkt, während das Warten auf Sicherheit letztlich einen inakzeptablen Zynismus im Warten auf den Tod von tausenden Menschen darstellt.
Der Effekt dieser Schwierigkeiten ist, dass wir keinen Kriegen, sondern nur „humanitären Interventionen“ gegen absolut böse Feinde zustimmen können, was wiederum bedeutet, dass die AkteurInnen in den Konflikten als schematisierte Opfer und Täter„gecastet“ werden. Jede menschliche Handlung, die aus der Rolle fällt, stellt potentiell unser ganzes Engagement in Frage und muss daher vermieden, verneint und relativiert werden.
In dieser überspitzen Darstellung sollen die vor allem aus den Balkankriegen bekannten Dilemmata noch einmal in Erinnerung gerufen werden.
Mit dem politischen Mainstream haben viele, die sich als Teil der Grünen Bewegung verstehen, seitdem einen pragmatischeren Umgang mit dem unverändert komplexen Thema entwickelt. Doch die Spannung im Grünen Verhältnis zur Gewalt wurde nicht geklärt, sondern einfach pragmatisch ignoriert.
Gründe gegen Gewalt, abseits von Moral?
Paradoxerweise birgt die moralisch begründete Festlegung, dass Gewalt abgelehnt wird und nur als allerletztes Mittel denkbar ist, eine häufig ignorierte Gefahr: Andere Gründe als moralische, die gegen den Einsatz von Gewalt sprechen könnten, werden kleingeredet oder ganz ignoriert. Wenn wir schon über unseren Schatten springen und uns bereit zum Gewalteinsatz zeigen, dann, so unsere Erwartung, wollen wir auch entsprechenden Erfolg.
Aber genau hier liegt ein Denkfehler. In einem politischen Konflikt ist Gewalt kein Mittel zum Zweck oder zum Sieg, sondern nur ein Mittel der Eskalation.
Um einen politischen Konflikt zu beenden, müssen letztlich alle Konfliktparteien aus mehr oder weniger freien Stücken auf eine weitere Eskalation verzichten. Denn auch noch so massive Gewalt und militärische Überlegenheit lässt immer noch die Möglichkeit weiterer Eskalation offen.
Gewalt kann eine gegnerische Partei also nur dazu motivieren, einem Kompromiss zuzustimmen, aber sie kann auch den gegenteiligen Effekt haben und einen Kompromiss erschweren. Damit wird das Dilemma der Gewalt deutlich:
Wir versuchen unsere GegnerInnen dazu zu motivieren, unsere Position zu akzeptieren und auf Gewalt ihrerseits zu verzichten, indem wir Mittel ergreifen, die dazu angetan sind, unsere GegnerInnen noch mehr gegen uns aufzubringen, indem wir der politischen Differenz auch noch eine persönliche Dimension hinzufügen (zum Beispiel Rache für die eigenen Toten und Verwundeten).
Die damit verbundenen Risiken sind offensichtlich, weil es unmöglich ist, den Fortgang der Ereignisse und den Ausgang des Konfliktes vorherzusehen, ganz unabhängig von der Anzahl der Soldaten, Raketen und Flugzeugträger, die jede Seite besitzt.
Schließlich können unorganisierte, unausgebildete und ungebildete Jugendliche ohne echte Waffen mit Selbstmordattentaten, Lastwagen und Kofferbomben übermächtige Gegner dort treffen, wo es diesen am meisten weh tut.
Natürlich gibt es die Erfolgsgeschichten der Gewalt, in denen ihr Einsatz mit einer Kapitulation der GegnerInnen belohnt wird und die eigenen Ziele als erreicht gelten.
Doch vor jeder Entscheidung zur Gewalt empfiehlt es sich, nicht die wenigen Erfolge, sondern das unvermeidbare Risiko vor Augen zu haben.
Eskalation und Konfliktbeilegung
In stabilen und „reifen“ Gesellschaften besteht zwischen den politischen AkteurInnen, der Regierung, der Polizei, den Parteien und der Zivilbevölkerung ein gemeinsam eingeübtes Einverständnis über jene Mittel der Eskalation, die noch akzeptiert werden (In Frankreich ist zum Beispiel Sachbeschädigung bei Demonstrationen Teil der Folklore, in Österreich wird sie bereits als Überschreitung der Schwelle zur illegitimen Gewalt betrachtet). Die langsame und vorsichtige Eskalation (etwa über Demonstrationen, Medienkampagnen, kreative Formen zivilen Ungehorsams etc.) ist dabei ebenso Bringschuld der AktivistInnen wie das rechtzeitige Nachgeben der Regierenden gegenüber so vorgebrachten Anliegen engagierter Minderheiten. Über diese Mechanismen wird Wut und Aktionismus von Minderheiten, die sich bei Wahlen nicht durchsetzen konnten, kanalisiert, und gleichzeitig werden die Interessen der weniger engagierten Mehrheit gewahrt. Die Möglichkeit zur Eskalation ist dabei Voraussetzung für die Möglichkeiten der Deeskalation.
Gegenüber unerfüllbaren Maximalforderungen (z. B. der Einführung eines religiös-faschistischen Staates) von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen funktionieren derartige Eskalations- und Deeskalationsmechanismen nur ungenügend. Dennoch ist auch hier die vermeintliche Lösung der repressiven Staatsgewalt immer nur ein Mittel der Eskalation, nicht der „Lösung“ des Problems. Die Effektivität der staatlichen Repression wird auch hier davon abhängen, welche Angebote parallel dazu jenen gemacht werden, aus deren Kreis die verhafteten oder getöteten AktivistInnen ersetzt werden, also der Szene der noch unentschlossenen SympathisantInnen,. Attraktive Angebote im Gleichklang mit zielsicherer Repression haben dabei die besten Erfolgsaussichten, während die Konzentration auf nur eine Seite der Medaille potentiell die Attraktivität einer zunehmend gewaltsamen Auseinandersetzung verstärkt.
Für uns Grüne haben diese Überlegungen insofern Relevanz, als sie uns erlauben, in konkreten Fällen besser abwägen und informiertere Entscheidungen treffen zu können, wo unsere Dogmen – so berechtigt sie auch sein mögen – uns nur in Widersprüchlichkeiten führen. Wir sollten uns jedenfalls davor hüten, aus moralisch redlichen Gründen die Wirklichkeit durch Schablonen zu betrachten, die uns letztlich nicht mehr weiterbringen, sondern nur den Blick aufs Wesentliche versperren.
Georg Maißer leitet die Medienarbeit der Grünen Bildungswerkstatt.