And the Leopoldine 2014 goes to: Barbara Holub.
Schon beim Sektempfang tummelte es sich. Als jedoch Uschi Lichtenegger und Sabine Oberneder zur Begrüßung die Mikrofone auf der Bühne ergriffen, waren alle Kartonstühle und sämtliche Freiräume bis in den Vorraum eng besetzt. Für eine wahrhaft transkulturelle und schwungvolle musikalische Begleitung sorgte die Band Locomotiv, die sowohl rhythmisch (vom Balkan-Sound und Gipsy-Swing bis zum Hip-Hop), als auch sprachlich (Deutsch, Englisch, Slowenisch) mit bewegender Vielseitigkeit punktete.

Grüne Leopoldstadt
Engagement für die Zivilgesellschaft.
Seit 2002 vergeben die Grünen der Leopoldstadt den mit 1.100 € dotierten Preis für die „Frau des Jahres“ an besonders engagierte, couragierte und innovative Frauen, deren Leistungen für die Gesellschaft leider viel zu oft nur wenig Anerkennung finden. „Wir Frauen, wir haben etwas zu sagen!“, nannte Klubobfrau Uschi Lichtenegger als Motto der diesjährigen Verleihung.
Krankheitsbedingt leider doch nicht teilnehmen konnte Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin und außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament und österreichische Spitzenkandidatin der Grünen für die kommende Europawahl. In ihrer brieflich übermittelten Festrede betonte sie, warum es auch heute noch wichtig sei, Frauen, ihr Leben und ihre Arbeit in der Öffentlichkeit sichtbar(er) zu machen und zu würdigen.

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Gleichbemächtigung und Quotenfrauen.
Nach neuerlichem musikalischen Intermezzo erläuterte Ulrike Böhmdorfer das von ihr und Brigitte Redl-Manhartsberger erdachte Wortspiel der „Gleichbemächtigung“, welches als großformatiges Transparent die Bühne zierte. Seit über 100 Jahren stehe der 8. März symbolisch für den Kampf der Frauen um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie für den Kampf um Macht. Dabei müsse zwischen faktischer und gesetzlicher Macht unterschieden werden. Durch die faktische Macht des alltäglichen und organisierten Kampfes von Frauen wurde die gesetzliche Ohnmacht schrittweise getilgt. Trotzdem beträgt der Gender-Pay-Gap, die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen, in Österreich heute noch 23 Prozent. Laut der Bezirksrätin sei der Slogan: „Wir verdienen noch immer weniger!“ inzwischen so alt, dass es schon wehtue. Selbstkritisch betonte Böhmdorfer, dass Frauen noch lange nicht alle Möglichkeiten nutzen. Dies gelte auch in Bezug auf die Quotenfrage. Einer pauschalen Ablehnung à la: „Nein danke, ich bin doch keine Quotenfrau“, trat sie vehement entgegen. Überall im gesellschaftlichen Leben gebe es Quotenregelungen, etwa bei der Bundesländervertretung im Parlament. Warum nicht bei den Geschlechtern? „Quote: Ja! Endlich und unbedingt!“, lässt es Böhmdorfer in den Saal erschallen, um der Gleichbemächtigung endlich habhaft zu werden.
Direkter Urbanismus im „Paradise Enterprise“.
In der Laudatio enthüllte Bezirksrätin Brigitte Redl-Manhartsberger dann endlich der Festgesellschaft die diesjährige Preisträgerin und weshalb sich Barbara Holub die von der freischaffenden Künstlerin Eva Engelhart eigens entworfene „Leopoldine“ samt Preisgeld redlich verdient hat. Nach dem Architekturstudium an der Technischen Universität (TU) Stuttgart und einer Gastprofessur an der University of Illinois bei Chicago gründete Holub mit ihrem Lebenspartner Paul Rajakovics 1999 „transparadiso“. Seit 2003 ist sie Redaktionsmitglied von „dérive – Zeitschrift für Stadtforschung“, 2006-2007 präsidierte die Wahl-Leopoldstädterin über die Wiener Secession, 2010-2013 leitete sie das Forschungsprojekt „Planning Unplanned“ am Institut für Kunst und Gestaltung der TU Wien und seit letztem Jahr lehrt sie „Kunst und kommunikative Praxis“ an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Von den zahlreichen künstlerischen Projekten der Frau des Jahres erinnerte Redl-Manhartsberger insbesondere an die 2010 organisierten Stadtrandspaziergänge in Wien-Aspern sowie das aktuelle transparadiso-Projekt „Paradise Enterprise“ in Judenburg. Als methodisches Destillat der langjährigen Arbeit von transparadiso ist 2013 „Direkter Urbanismus“ (Verlag für Moderne Kunst) erschienen.
Alles in allem, so resümierte die Laudatorin, habe Barbara Holub so viel Zukunftsweisendes geschaffen, dass sie unweigerlich in die Reihe der Frauen des Jahres aufgenommen werden musste.
Ein Plädoyer für Mut und Nichtwissen.
Nachdem die „Frau des Jahres 2014“ ihren Preis unter Applaus und Bussis entgegen genommen hat, erklärte Barbara Holub zunächst, weshalb sie kein gutes Vorbild für ihre Tochter sei und keine Hinweise für ein erfüllendes Leben einer Frau im 21. Jahrhundert geben könne. Der Künstler*innenalltag berge viele Widersprüche und sei weniger glamourös und viel einsamer, als öffentlich wahrgenommen. Eine elterliche Botschaft war ihr aber wichtig: „Es ist wesentlich, sich für Dinge einzusetzen und einen eigenständigen Weg zu gehen.“
Die Auszeichnung versteht Holub insbesondere auch als Wertschätzung für Lebenswege, welche abseits von Karriereleitern mäandern. Ihre künstlerische Praxis sieht sie als Potential, die Phantasie der Mitmenschen anzusprechen, unliebsame Fragen zu stellen und zu Aktivität anzuregen und somit gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben. Holub plädierte in ihrer inspirierenden Dankesrede für Mut: „Wir sollten uns zwischendurch erlauben, nicht die perfekte Antwort zu haben, dem Nachdenken Raum zu geben und auch dem Nichtwissen.“
In einem Punkt irrte Barbara Holub allerdings fraglos: Wie könnte sie wohl nicht Vorbild für die Frau des 21. Jahrhunderts sein?

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Links
transparadiso http://www.transparadiso.com/cms/
Locomotiv http://www.loco-motiv.at/
Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.