Griechenland: Schulden und Sünder.

Theophilos Papadopoulos
Griechenland als Sündenbock der europäischen Eliten.
Die Staatsschulden Griechenlands sind mittlerweile auf rund 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen. Für Außenstehende ist es schwer nachzuvollziehen, wie es soweit kommen konnte. „Seit der globalen Finanzkrise 2008 sind die Schulden Griechenlands explosiv gestiegen, unter anderem weil die Wirtschaft geschrumpft ist“, erklärt Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. Zwischen 1950 und 2008 hätte Griechenland ein sehr hohes Wirtschaftswachstum vorweisen können, zwischen 2000 und 2008 sei dieses sogar höher gewesen als in Deutschland. Einerseits kämpfe Griechenland mit strukturellen Problemen wie Korruption, Klientelismus und einer hohen Verteilungsungleichheit. Diese Probleme hätten laut Schulmeister aber nicht zur aktuellen Lage geführt: „Sonst hätte es schon viel früher begonnen. Richtig schlimm wurde es erst 2009, denn Griechenland war und ist das schwächste Glied einer Kette der europäischen Gesamtwirtschaft und wird nun für die Eliten zum Sündenbock“, erklärt der Ökonom. Es sei wichtig, die Krise nicht nur in Griechenland zu sehen, sondern als gesamteuropäische Depression.
Kritik an Neoklassik.
Auch Gabriele Michalitsch sieht das Problem auf europäischer Ebene. In den letzten Jahren habe die Polarisierung zwischen Zentrum und Peripherie innerhalb der Eurozone stark zugenommen. „Generell stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit der Demokratie in Europa. Viele Entscheidungen für Griechenland wurden von der Europäischen Zentralbank (EZB) getroffen, und nicht von Griechenland selbst“, erklärt Michalitsch. Der Terminus »Partner« sei daher momentan nicht angebracht. Die Politikwissenschaftlerin und Ökonomin macht auch neoklassische und neoliberale Wirtschaftstheorien verantwortlich für die Krise in Griechenland und Europa. Die Neoklassik berufe sich größtenteils auf mathematische Modelle, die stark vereinfachend wirken und die komplexe Wirklichkeit einer Volkswirtschaft oft nicht wiedergeben könnten. Der Staat solle so wenig wie möglich in die Entwicklungen des freien Markts eingreifen. „Im Neoliberalismus ist sich jeder selbst am nächsten. In Griechenland kann man jetzt die fatalen Auswirkungen dieser Lehre deutlicher sehen denn je“, so Michalitsch. Nach wie vor würden neoklassische und neoliberale Wirtschaftstheorien weltweit die Lehre an den Universitäten dominieren. Alternativ verweist Michalitsch auf Ansätze aus der feministischen Ökonomie: „Ist Ökonomie denn nur dort, wo Profit und Wachstum sind, oder auch dort, wo es um die Versorgung von Menschen geht?“
Hohe Erwartungen an Syriza.
Im Jänner 2015 wählten die Griech*innen eine neue Regierung. Mit rund 37 Prozent der Stimmen zog Syriza (Koalition der radikalen Linken) als Wahlgewinnerin in die Regierung ein. Katerina Anastasiou ist Mitbegründerin des Kollektivs »solidarity4all.vienna« und sieht in Syriza Hoffnung für Griechenland: „Syriza ist keine alte, linke Partei, die nur Kapital-Lesekreise organisiert. Syriza hat sich schmutzig gemacht und war direkt in den entstandenen Bewegungen drinnen, sie hat keine Verbindungen zur griechischen Oligarchie und ist am Wohl der Menschen interessiert“, so die gebürtige Griechin. Bei fast 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und rund 28 Prozent Gesamtarbeitslosigkeit bestehe dringender Handlungsbedarf. „Man liest oft von Hilfsgeldern und Hilfsprogrammen der EU, ist man aber in Griechenland, sieht man nicht viel davon“, fügt Anastasiou hinzu. Die Folgen der Sparpolitik der EU zeigten sich hingegen sehr deutlich. Ein Drittel der griechischen Bevölkerung sei nicht mehr krankenversichert, die Säuglingssterberate sei dramatisch angestiegen und Abtreibungen hätten ebenfalls zugenommen. In Griechenland könne sich fast niemand mehr ein Kind leisten.
„Amnesie der Ökonomen.“
Schulmeister sieht das größte Problem in der von der EU und insbesondere von Deutschland geforderten Sparpolitik. Jene Länder, die bisher am meisten gespart hätten, hätten nun auch die größten Staatsschulden. „Das nennt sich das Sparparadox, das sollte jeder Ökonom einmal gelernt haben. Wird zu viel gespart, gibt es keine Einnahmen mehr und die Wirtschaft stagniert oder schrumpft“, erläutert Schulmeister. Derzeit würden die Symptome einer tiefen Depression bekämpft, das Problem sei aber ein systemisches. Die Krise in Europa beschreibt er als „Produkt der Amnesie der Ökonomen“, die aus vorherigen Finanzkrisen nichts gelernt hätten.
Kommt die Hoffnung?
Was die Zukunft für Griechenland bringen wird, kann noch niemand sagen. Anastasiou setzt auf die Unterstützung junger Menschen in Griechenland und deren Ideen und Innovationen, auf ökologisch nachhaltige Wirtschaftsformen und die Stärkung kleiner, lokaler Betriebe. Außerdem plädiert sie an die europäische Solidarität und zitiert einen Wahlslogan von Syriza: „Die Hoffnung kommt – ob das wirklich passiert, liegt nicht an Syriza oder Angela Merkel, sondern an uns allen!“
Die Autorin Valentina Duelli studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien.