Am 6.7.2012 veröffentlichte der Standard einen Gastkommentar von Margit Schratzenstaller: Mit der These, „Wachstumspakt braucht grünen Anstrich“ (siehe ) reiht sich die angesehene Ökonomin in die Reihe derjenigen ein, die sich für eine spezifische Form des Wirtschaftswachstums einsetzt, die ökologische Gesichtspunkte ernst nimmt. So beklagt Schratzenstaller eingangs:
„Bemerkenswert an der aktuellen europäischen Wachstumsdebatte ist der konventionelle Rahmen, innerhalb dessen sie geführt wird. Kern der Auseinandersetzung ist im Grunde die Frage nach den Quellen des Wirtschaftswachstums und somit danach, ob es eher durch angebots- oder durch nachfrageseitige Maßnahmen belebt werden könne. Welcher Art ein zukunftsfähiges Wirtschaftswachstum sein könne und solle, spielt dagegen eine untergeordnete Rolle.“
Damit bestätigt die Wirtschaftspolitik das Vorurteil, bei Ökonomie ginge es einzig um Zahlen, nicht aber um Werte und Entscheidungen darüber, wie unsere gemeinsame Zukunft ausschauen soll: Voller Autobahnen und Parkhäuser, oder mit Radstreifen und einer im Takt fahrenden Bahn? Auf diese Weise wird laut Schratzenstaller die Chance vertan, das Potential einer "Grünen Wirtschaft" zu nutzen:
„Dass "grüne" Investitionen in die Energieeffizienz von Gebäuden, erneuerbare Energie und umweltfreundlichen öffentlichen Verkehr kurzfristig erhebliche Konjunkturimpulse und langfristig beträchtliche Produktivitätszuwächse bewirken können .... Enthielte das europäische Wachstumspaket einen merklichen Anteil "grüner" Investitionen, könnte es also trotz seines bescheidenen Umfangs nicht nur die Klimaziele unterstützen, sondern auch spürbare Wachstumseffekte auslösen und damit nationalstaatliche Wachstumspolitiken substanziell ergänzen.“
Diese Position wird als Ökokeynesianismsu bezeichnet. Dabei geht es um eine Steuerung der Investitionen nach politisch gewollten Kritierien, im vorliegenden Fall eben eines ökologischen Umsteuerns. Aus dieser ökokeynesianischen Perspektive fordert Schratzenstaller daher:
„Mit dem europäischen Wachstumspakt sollte die Möglichkeit, wachstumsfördernde Maßnahmen mit einem sozioökologischen Umbau der europäischen Volkswirtschaften zu verbinden, besser genutzt werden.“
Mit diesem Ansatz vertritt Schratzenstaller anschaulich die Position, die ihr Kollege am Wirtschaftsforchungsinstitut, Stephan Schulmeister, letztes Jahr auf der Grünen Sommerakademie in Goldegg vertreten hat. Der europäische Kapitalismus steckt in einer tiefen Krise, die aus der ungenügenden Kaufkraft von Mittel- und Unterschicht resultiert. Deshalb braucht es kurzfristig Wachstum, damit das von Sparpaketen und Bankenkrise erschütterte System nicht kollabiert. Die Lösung wäre, laut Stephan Schulmeister, ein New Deal, der Umverteilung, Ökoinvestitionen und eine solidarische Daseinsvorsorge sicherstellt.
Ist das realistisch? VerfechterInnen einer Post-Wachstumsökonomie halten diese Position für untragbar, weil weiteres Wachstum den Klimawandel dramatisch beschleunigt und unabsehbare ökologische Konsequenzen zur Folge haben wird. Haben deshalb jene Konservativen recht, die die Wachstumsinitiative des französischen Präsidenten Hollande ablehnen – weil wir aus Gründen ökonomischer und ökologischer Vernunft den Gürtel enger schnallen müssen?
Schratzenstaller, so wie auch Schulmeister, suchen nach Strategien, die mit einer kapitalistischen Marktwirtschaft vereinbar sind und die sie für mehrheitsfähig halten. Sie setzen auf Reformen, analog zu dem, was Roosevelt in den 1930er Jahren mit dem New Deal erreichte. Doch sind die Eliten heute zu solchen Reformen bereit? In der bisherigen Geschichte des Kapitalismus war es immer wieder möglich, den Kuchen wachsen zu lassen, um Konflikte, insbesondere Verteilungskonflikte zu vermeiden. Doch erlaubt uns die ökologische Zuspitzung der Krise – von Klimawandel bis Peakoil - auch im 21. Jahrhundert diesen Weg zu beschreiten?
Andreas Novy ist ao. Universitätsprofessor an der WU-Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt