Wir erleben gerade seltsam ungleichzeitige Diskussionen. Zum einen wird das Scheitern einer Politik sichtbar, die durch ständiges Engerschnallen des Gürtels Wirtschaftskrisen lösen will. Gegen diese wirtschaftspolitische Dummheit, die schon in den 1930er Jahren zur großen Krise und ihren desaströsen politischen Konsequenzen geführt hat, stellen sich immer mehr ÖkonomInnen und PolitikerInnen. Man könne sich aus einer Wirtschaftskrise nicht heraussparen, sondern nur herauswachsen, und Europa solle dementsprechend handeln. So weit so richtig.
Doch dann gibt es eine zweite Diskussion, angestoßen durch besorgte UmweltforscherInnen, die vor den Folgen von Klimawandel und Ressourcenverknappung warnen. Sie fordern eine radikale Abkehr von unserer Wachstumsgesellschaft. Für sie geht es um ein nicht-expansives Wirtschaftsmodell und eine Lebensweise, bei der der eigene ökologische Fußabdruck mit dem vereinbar ist, was unser Planet an Energie- und Ressourcenverbrauch verkraftet. Kein Zweifel, dass auch sie recht haben.
Schulmeister oder Welzer?
Ist dieser Spagat machbar: kurzfristig wachsen, langfristig aus der Wachstumslogik aussteigen? Wer sich mit Wirtschaftswachstum und dessen Kritik beschäftigt, der muss immer in Widersprüchen, Spannungsfeldern denken.
Und so muss an die Stelle der Diskussion pro und kontra Wachstum das Bewusstsein für die Dialektik von Realpolitik und konkreter Utopie treten. Die konstruktive Bearbeitung der Spannungen zwischen zwischen kurzfristig Möglichem und langfristig Notwendigem ist Voraussetzung für nachhaltige und solidarische Politik.
Angesichts der gegenwärtigen Krise Europas stehen progressive Bewegungen nämlich vor der paradoxen Aufgabe, das System nicht kollabieren zu lassen und gleichzeitig die Weichen für eine radikale Wende zu stellen. Statt eines Entweder-Oder braucht es deshalb ein Sowohl-als-Auch. Wir müssen, in den Worten Markus Marterbauers, „aus der Krise herauswachsen“, aber wir brauchen auch die langfristigen Perspektiven eines Harald Welzer, der „eine ökologische Kulturrevolution des Alltags“ fordert.
Bad economics, nicht nur bad morals
Das beste Beispiel, dass eine radikale Wende möglich ist, liefert der US-amerikanische New Deal - Antwort auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, eine soziale Krise ungekannten Ausmaßes verursacht durch Bankenzusammenbrüche und eine extrem ungleiche Einkommensverteilung. 1937, am Beginn seiner zweiten Amtszeit hielt Franklin D. Roosevelt fest: „Wir haben immer gewusst, dass das rücksichtslose Verfolgen des Eigeninteresses bad morals ist, aber nun wissen wir auch, dass es auch bad economics ist. Auf den Zusammenbruch eines Wohlstands, dessen Errichter mit ihrer Sachlichkeit prahlten, folgte die Überzeugung, dass sich Moral langfristig auch ökonomisch auszahlt.“
Was können wir also vom New Deal, von F.D. Roosevelt lernen? Es braucht zum einen den Mut, sich mit mächtigen Interessen des Status Quo anzulegen und neue Wege zu beschreiten. Auch heute muss die Umverteilung hin zu wenigen Reichen rückggängig gemacht werden – eine Entwicklung, die mittlerweile selbst von Währungsfonds und OECD als Problem thematisiert wird. Und es muss klar sein, dass die größten Konzerne weiterhin in der Öl-, Automobil- und Finanzbranche zu finden sind, allesamt Bereiche, die von fossilem Wachstum und unbegrenzter Bereicherung leben. Werden diese Konzerne in ihrer Macht nicht eingegrenzt, sind sozialen und ökologischen Veränderungen enge Grenzen gesetzt.
Neben Mut braucht es auch den politischen Willen, einen großen Schritt vorwärts zu wagen: Roosevelt begründete den Wohlfahrtskapitalismus und ebnete den Weg für die „goldenen Nachkriegsjahrzehnte“, die eine große Mittelschicht entstehen ließen. Kein geringes Verdienst. Heute, als Antwort auf die Krise nach 2008 braucht es jedoch mehr, eine explizite Verbindung von rot und grün, von sozialer und Umweltfrage.
Als erste Rettungsaktion hilft grünes Wachstum durch Umweltschutzinvestitionen und eine Energiewende weg von Öl und Gas. Das schafft Arbeitsplätze und ist angesichts der Erderwärmung und des Aufstiegs der Schwellenländer, die ihren berechtigten Teil vom Kuchen fordern, ökologisch notwendig.
Ein neues Zivilisationsmodell
Doch darüber hinaus braucht es ein neues Zivilisationsmodell, das die ökologischen Grenzen ernst nimmt und Lebensqualität neu definiert: Als Zeitreichtum, als Beziehungsreichtum und als Möglichkeit zur selbstbestimmten, gemeinschaftlichen Lebensgestaltung. Boten dieser neuen Lebensform sind die zahlreichen lokalen Bauernmärkte, die Vielzahl von Bio-Initiativen und einzelne lokale Betriebe, die gegen den Trend ökologisch und fair gehandelt Produkte herstellen, sei dies Schokolade, Schuhe oder „Göttin des Glücks“-Kleider.
Diese Pioniere ökologischer Lebensweise brauchen politische Unterstützung, um eine Wirtschaftsweise prosperieren zu lassen, die nicht auf Wachstum orientiert ist, sondern auf Suffizienz und gleiches Recht auf Nutzung endlicher Ressourcen: Billige Kredite für die Vernetzung der regionalen Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft, Information und Bewerbung lokaler Vertriebsnetze, die lange Transportwege einsparen. Diese Förderung sozialer und ökologischer Innovationen, Lebensstilveränderungen und ressourcenschonenden Produktionen sind wirtschaftspolitische Lenkungsmaßnahmen, die individuellen Vorzeigeinitiativen zu gesellschaftlicher Relevanz verhelfen.
Die Richtung, in die diese radikale Wende unserer wirtschaftpolitischen Wertordnung führt, hat Roosevelt jedensfalls schon 1937 benannt: „Der Test für unseren Fortschritt ist nicht, ob wir mehr zur Fülle derjenigen beitragen, die viel haben, sondern ob wir für diejenigen genug anbieten, die zu wenig haben.“
Andreas Novy ist Professor an der WU und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt