Und es bedarf der Klarheit über das gemeinsame große Ziel: dass der Übergang nicht zur Katastrophe wird. Der Abschied von einer durch vielfältige Ungleichheiten gekennzeichneten Konsumgesellschaft könnte auch zu einem brutalen Existenzkampf, Massenelend und Klimakriegen führen. Damit sich autoritäre, ausgrenzende Kräfte nicht durchsetzen, braucht es Menschen, Organisationen, Gemeinden, Länder, die ausprobieren, wie der Wandel unserer Lebens- und Arbeitsweise so funktionieren kann, dass das andere Leben nicht zu einem zivilisatorischen Rückschritt führt, wohl aber auf Maßhalten aufbaut.
Viele Antworten liegen im Kleinen schon vor: Ausbau regionaler Kreisläufe für die Produktion und den Konsum lokaler Produkte, kürzere Arbeitszeiten, eine Reparaturökonomie, die Ressourcen spart, Mobilität, die ohne privaten PKW auskommt. Eine bescheidenere, auf die eigenen und regionalen Ressourcen ausgerichtete Lebensweise als gutes Leben für alle ist vorstellbar und möglich, und dieses bewusstere Leben und Arbeiten wäre durchaus als Gewinn an Lebensqualität zu organisieren. Es gibt nämlich viel zu gewinnen: weniger Autolärm, weniger Schadstoffe im Essen, weniger Konflikte um knappe Ressourcen wie Öl, weniger Stress und Statusangst in Beruf und Freizeit. Warum ist es so schwierig, den Übergang zu diesem Zivilisationsmodell einzuleiten?
Da sind zuerst mächtige Interessen, die vom Status Quo profitieren. Die Vermögens- und Einkommenskonzentration ermöglicht dem einen Prozent Statusvorteile, wie dies in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts nicht möglich war. Öl- und Autoindustrie müssten radikal umgebaut, Banken verkleinert werden. All dies bedeutet für die jetzigen NußnießerInnen kurzfristig Nachteile, die sie nur ungern in Kauf nehmen.
Dieses Machtinteresse der großen Status Quo-Profiteure verbindet sich mit einer zutiefst menschlichen Trägheit und den Vorbehalten gegen Veränderung. Die Abwehr ist besonders groß, wenn sich Menschen bedroht fühlen und Abstiegsängste zunehmen. Gerade die wurden durch die neoliberale Umverteilung von unten nach oben verstärkt. Die Aggression bei so bescheidenen Maßnahmen wie der Parkraumbewirtschaftung oder unbeeinflussbaren Dynamiken wie Benzinpreissteigerungen zeigt die Sensibilität gegenüber Entwicklungen, die den eigenen Lebensstil in Frage stellen. Eine wichtige Aufgabe ist daher wohl die Bewusstseinsbildung, dass Wandel unabdingbar ist, und sie Richtung klar ist: es braucht einen sorgsamen Umgang mit der Natur und gesellschaftlichen Zusammenhalt als Grundlage nachhaltiger und solidarischer Gemeinwesen.
Ein weiterer Veränderungsschritt besteht in der Abkehr vom Wachstumsdenken, das wir verinnerlicht haben. Vielfach ist ja das „Mehr“ zur Triebkraft unseres Handelns geworden: mehr Erfolg im Beruf, mehr Spaß im Urlaub, mehr Abwechslung beim Essen und im Liebesleben. Unruhe und Hast, die ständige Veränderung und grenzenlose Reizüberflutung ist ein Merkmal unserer Zeit – und Ausdruck einer Zivilisation und deren Krise. Tatsächlich braucht es eine Befreiung von Überfluss und Grenzenlosigkeit. Wer legt nun aber diese Grenzen fest? Wie organisieren wir Beteiligung und Demokratie, ohne die Kräfte der Beharrung zu stärken? Für den Übergang zu einer Zivilisation, in der gelingendes, erfülltes Leben für alle das gemeinsame Ziel ist, braucht es mehr Dialog und Diskussion, und mehr Wissen über Zusammenhänge.
Ein neues Produktionsmodell, das aus der Wachstumslogik aussteigt, erfordert klare Regeln für wirtschaftliches Handeln. Es braucht eine öko-soziale Marktwirtschaft in einem radikalen Sinne, Demokratie und politische Gestaltung hätten die Aufgabe zur systematischen Regulierung von Märkten: Lokale Märkte wären gegenüber globalen zu bevorzugen, KleinanbieterInnen gegenüber Konzernen, sorgsam Wirtschaftende gegenüber ProduzentInnen, die externe Effekte zu externalisieren versuchen. Es braucht öffentliche und genossenschaftliche Kreditinstitute, die nicht am Finanzmarkt spekulieren, sondern lokale Initiativen fördern.
Wenn wir eine Kreislauf- und Reparaturökonomie wollen, dann braucht es demokratisch verhandelte Regeln und Verbote. Bestimmte Waren werden dann gar nicht auf den Markt kommen; andere werden nicht über den ganzen Planeten verschifft werden, insbesondere dann, wenn dies einzig dazu dient, bei deren Herstellung soziale Rechte zu verletzen und ökologische Mindeststandards zu unterschreiten. Und warum sollen nicht in China hergestellte Produkte vermehrt dazu dienen, in China den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen?
Außerdem sind Selbstversorgung und Eigenproduktion zu stärken. Dafür braucht es Zeit: die Sorge um andere Familienmitglieder, das Engagement im Fußballklub und bei den PfadfinderInnen, das Pflegen des Gartens. Heutzutage gelten diejenigen als LeistungsträgerInnen, die 60 und mehr Stunden erwerbsarbeiten – und damit die Last der Pflegearbeit, der Kindererziehung und des Vereinswesens im Ort den anderen überlassen. Sie sind LeistungsträgerInnen in einem Bereich, MinderleisterInnen in anderen. Stattdessen braucht es hier mehr Ausgewogenheit und kürzere Erwerbsarbeitszeit. All dies erfordert Anreize, mit weniger Erwerbsarbeit auszukommen, und sich umgekehrt nicht vor anderen Arbeiten zu drücken. Die Lohn- und Einkommenssteuer für kleine Einkommen gehört gesenkt, für hohe Einkommen und Überstunden erhöht: Dies schafft auch Gerechtigkeit in der Beziehung von Fondsmanager und Elementarpädagogin.
Damit all dies schrittweise Wirklichkeit wird, braucht es viel Engagement, Kreativität und Konsequenz – von mehr und mehr Menschen. Diese Suchbewegung muss wachsen.
Andreas Novy ist ao. Universitätsprofessor an der WU-Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt